Home Sweet Home(-Office)?

Warum Kommunikation und Führung in der virtuellen Arbeitswelt wichtiger sind denn je.

Homeoffice – der lang gehegte Traum vieler Angestellter ist durch die Corona-Pandemie unerwartet wahr geworden. Diese scheint mit den notwendigen Vorkehrungen zum Gesundheitsschutz zum Beschleuniger der Transformation zu werden: von traditioneller Präsenzarbeit zur neuen virtuellen Arbeitswelt. Doch die erhoffte Verbesserung der Work-Life-Balance ist damit nicht unbedingt verbunden. Vielmehr offenbart die vermeintlich neue Normalität auch negative sozialpsychologische Facetten.

Worauf sollten Sie achten, um virtuelle (Zusammen-)Arbeit nachhaltig erfolgreich zu etablieren? Wie sollten das Management einerseits und die Mitarbeitenden andererseits eingebunden werden? Diese und andere Fragen beantworten die folgenden Mazars-Experten im Interview:

  • Dr. Friederike Hohenstein, Head of People Development und Organisationsentwicklung
  • Maximiliane Günther, Consultant Change Management und Business Transformation
  • Patrick Oelze, Partner und Experte für digitale Transformation

Die Nutzung von Zoom, Skype und Co. ist in der Krise rasant gestiegen. Welchen Stellenwert nehmen digitale Tools für eine erfolgreiche virtuelle Zusammenarbeit ein?

Oelze: Sie legen den Grundstein, sind aber nicht der Schlüssel zum Erfolg. Das heißt: Tools sind notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung. Vor allem ermöglichen und vereinfachen sie die digitale Zusammenarbeit.

Günther: Sie sind ein erster wichtiger infrastruktureller Schritt im gesamten Transformationsprozess. Es existiert jedoch oft der Irrglaube, dass virtuelle, ortsunabhängige Arbeit und Zusammenarbeit primär bedeutet, Mitarbeitenden Laptops und Kommunikationstools zur Verfügung zu stellen.

Für virtuelles Arbeiten oder Arbeit aus dem Homeoffice braucht man also mehr als nur Tools. Stichwort „Modern Talking“ – welche Rolle spielt Kommunikation?

Günther: Während man die digitale Infrastruktur als notwendige Grundlage des Transformationsprozesses betrachtet, setzt Kommunikation schon vorher ein und unterstützt und begleitet die gesamte Transformation. Sowohl in der Krise als auch unabhängig davon sollte bei Transformationsprozessen von Beginn an transparent kommuniziert werden. Das betrifft Ziele, Auswirkungen und Veränderungen für die Mitarbeitenden, Meilensteine und vieles mehr. 

Hohenstein: Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg in der derzeitigen Situation. Führungskräfte sollten klar, offen und proaktiv kommunizieren. Wesentlich ist dabei, nicht nur ausschließlich von oben nach unten (top down) zu kommunizieren, sondern auch den Austausch von unten nach oben (bottom up) und zwischen Mitarbeitenden gezielt zu fördern. Regelmäßig stattfindende Abstimmungs- und Austauschformate wie Videotelefonate sind für die virtuelle Zusammenarbeit von hoher Bedeutung. Wir haben beispielsweise für unsere Mitarbeitenden einen großen Katalog unterschiedlicher Formate dafür entwickelt. Dabei kommen wieder digitale Tools ins Spiel.

Im Forbes-Magazin war kürzlich vom „Abbau emotionaler Barrieren“ zu lesen. Gemeint waren Einblicke in das Privatleben von KollegenInnen, u. a. durch Videotelefonate aus dem Homeoffice, die Bindung und Empathie zwischen Mitarbeitenden stärken können. Doch die fehlende Abgrenzung von Privat- und Berufsleben birgt auch Gefahren. Was raten Sie Mitarbeitenden und Führungskräften?

Hohenstein: Viele – leider auch im Jahr 2020 vor allem immer noch weibliche – Angestellte sind zur Zeit einer Doppelbelastung ausgesetzt: Sie sind ArbeitnehmerInnen und zugleich Eltern, LehrerInnen und EntertainerIn. Allgemein hilft es, den Tag klar in Arbeitszeit und Freizeit zu strukturieren, auf Pausenzeiten zu achten und To-Do-Listen zu erstellen. Multitasking kann im neuen virtuellen Arbeitsumfeld Fluch und Segen zugleich sein. Es kommt auf das richtige Maß an und darauf, Prioritäten zu setzen. Stress wirkt sich oft in schlechter Laune aus. Daher ist es wichtig, sich selbst regelmäßig zu reflektieren und den KollegenInnen oder der Familie offen zu sagen, wie man sich gerade fühlt. Offenheit trägt hier zum gegenseitigen Verständnis bei und stärkt im Endeffekt auch den Zusammenhalt.

Oelze: Eine Doppelrolle nehmen auch Führungskräfte ein. Zum einen sind Mitarbeiterfürsorge und Empathie für die virtuelle Zusammenarbeit wichtiger denn je, andererseits müssen Führungskräfte auch auf sich selbst und ihre endlichen Kräfte achten. Gerade in der jetzigen Krisensituation sind sie hohen Belastungen ausgesetzt. Transparente Kommunikation von Terminen und Erreichbarkeiten an Mitarbeitende kann dazu beitragen, die Arbeitsbelastung besser zu steuern.  

Zahlreiche Studien belegen den positiven Einfluss von sozialer Bindung am Arbeitsplatz auf die Zufriedenheit von Angestellten. Beim virtuellen Arbeiten fehlt jedoch dieser Kontakt zu KollegenInnen. Wie können Unternehmen darauf reagieren?

Hohenstein: Dauerhafte soziale Isolation und fehlender menschlicher Kontakt können zu psychischen Belastungen und schwerwiegenderen Problemen führen. Unternehmen sollten daher ausreichende Austauschmöglichkeiten für Mitarbeitende aller Hierarchieebenen anbieten, auch abseits von offiziellen Meetings. Mentale Gesundheit und emotionales Wohlbefinden sind nicht nur für den Mitarbeitenden als Individuum wichtig, sondern entscheidend für den Unternehmenserfolg.

Günther: Außerdem kann der Austausch unter KollegenInnen Kreativität freisetzen und motivieren. Das ist nicht zu unterschätzen. Innovative Ideen zum Beispiel entstehen oft beim Smalltalk in der Pause.  

Zusammenarbeit findet natürlich nicht nur innerhalb von Unternehmen statt. Wie sehen Kundenkontakt und -kommunikation der Zukunft aus?

Oelze: In vielen Branchen oder einzelnen Geschäftsbereichen ist virtuelle Kommunikation mit Kunden der Standard, in anderen wiederum sind persönliche Interaktionen zentral für den Aufbau und die Pflege von Geschäftsbeziehungen. Hier sollten Unternehmen kundenorientiert denken und agieren. Nichtsdestotrotz sind perspektivisch auch bei – in dieser Hinsicht – sehr traditionellen Kunden Veränderungen zu erwarten. Es gilt im Zweifelsfall, die eigenen Routinen und die der Kunden auszubalancieren und aufeinander abzustimmen. Diese Flexibilität sollte vor dem Hintergrund optimaler Kundenerfahrungen auch Teil der Unternehmenskultur sein.              

Mitarbeitende fördern und motivieren, aber nicht überwachen, das Wir-Gefühl stärken, aber empathisch und ohne Zwang – gute Führung scheint zukünftig nicht einfacher zu werden. Wie lautet Ihr abschließender Ratschlag für Führungskräfte in einem Satz?

Hohenstein: Schaffen Sie Verständnis für Veränderungen und für die Belange Ihrer Mitarbeitenden.

Günther: Vermitteln Sie Geduld und realistischen Optimismus, indem Sie beides vorleben. 

Oelze: Verlieren Sie bei aller Dringlichkeit des aktuellen Handlungsbedarfes die Zukunft des Unternehmens, der Mitarbeitenden und von sich selbst nicht aus den Augen.