BVerfG erklärt körperschaftsteuerliche Übergangsregelung vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren als unvereinbar

Mit Pressemitteilung Nr. 29/2023 vom 8. März 2023 und Beschluss vom 7. Dezember 2022 (2 BVR 988/16) erklärte das BVerfG die Unvereinbarkeit des § 38 Abs. 5 und 6 i. V. m. § 34 Abs. 16 Satz 1 KStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

Es handelt sich dabei um eine Übergangsregelung hinsichtlich der pauschalen ausschüttungsunabhängigen Nachbelastung des noch vorhandenen Eigenkapitaltopfes EK 02. Die aktuell verworfene Übergangsregelung betrifft u. a. Wohnungsunternehmen, die sich zu mehr als 50 % in öffentlicher Hand befinden, und steuerbefreite Körperschaften.

Hintergrund

Die Regelung ist Teil der Übergangsvorschriften für den Systemwechsel vom körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren. Während der Geltung des Anrechnungsverfahrens wurde das verwendbare Eigenkapital einer Gesellschaft entsprechend seiner Vorbelastung mit Körperschaftsteuer in verschiedene „Eigenkapitaltöpfe“ (EK) gegliedert.

Steuerfreie Vermögensmehrungen wurden u. a. im sog. EK 02 erfasst. Im Falle der Ausschüttung dieses Eigenkapitals wurde es bei Verlassen der steuerbefreiten Sphäre auf der Ebene der Körperschaft mit (zuletzt) 30 % nachbelastet. Beim Anteilseigner wurde die Ausschüttung – unter Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer – mit dessen individuellem Einkommensteuersatz besteuert. Unter dem Halbeinkünfteverfahren erfolgt im Falle der Ausschüttung keine Nachbelastung der von der Körperschaft steuerfrei erwirtschafteten Gewinne; beim Anteilseigner unterliegt die Ausschüttung nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60 %) der Einkommensteuer.

Nach der ursprünglichen Übergangsregelung zur Einführung des Halbeinkünfteverfahrens durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (StSenkG) sollte das alte EK 02 nur noch bis zum Ablauf eines 15-jährigen (später auf 18 Jahre erweiterten) Übergangszeitraums im Falle seiner Ausschüttung mit 30 % nachbelastet werden.

Durch das Jahressteuergesetz 2008 wurde mit § 38 Abs. 5 und 6 KStG stattdessen eine pauschale ausschüttungsunabhängige Nachbelastung des noch vorhandenen EK 02 mit 3 % Körperschaftsteuer eingeführt.

Auf Antrag konnten sich Unternehmen, an denen unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 50 v. H. juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen i. S. von § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 2002 allein oder gemeinsam beteiligt sind, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, die ihre Umsatzerlöse überwiegend aus der Verwaltung und Nutzung eigenen zu Wohnzwecken dienenden Grundbesitzes, durch Betreuung von Wohnbauten oder durch die Errichtung und Veräußerung von Eigenheimen, Kleinsiedlungen oder Eigentumswohnungen erzielen, und steuerbefreite Körperschaften von der Anwendung dieser Regelung befreien lassen.

Daraus folgt für diese Unternehmen eine Nachbelastung des EK 02 nur im Falle einer Ausschüttung während des Übergangszeitraums (bis einschl. 2019), während der EK-02-Bestand anderer Körperschaften zwingend – das heißt unabhängig davon, ob er ausgeschüttet wird oder nicht – gemäß § 38 Abs. 5 und 6 KStG nachbelastet wird.

Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

Das BVerfG erklärte, die ausschüttungsunabhängige Nachbelastung des EK 02 durch § 38 Abs. 5 und 6 KStG sei zwar für sich genommen sowohl mit dem allgemeinen Gleichheitssatz als auch mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie dem Schutz des Eigentums und der allgemeinen Handlungsfreiheit vereinbar. Sie verstoße jedoch in Verbindung mit dem in § 34 Abs. 16 Satz 1 KStG vorgesehenen Antragswahlrecht bestimmter Körperschaften gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Die Ausnahmeregelung bewirke eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung von Körperschaften, die nicht gerechtfertigt sei.

Bedeutung für die Praxis

Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß bis zum 31. Dezember 2023 rückwirkend zu beseitigen. Diese Verpflichtung erfasst alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf den für verfassungswidrig erklärten Vorschriften beruhen. Bis zu einer Neuregelung dürften Gerichte und Verwaltungsbehörden die Normen im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen.

Es bleibt abzuwarten, mit welcher Regelung der Gesetzgeber auf die Entscheidung reagiert. Steuerbescheide bis einschließlich 2019 von bisher von der Begünstigung ausgeschlossenen Körperschaften, die eine ausschüttungsunabhängige Nachbelastung des EK 02 berücksichtigen, sollten, wenn möglich, offengehalten werden. Gern unterstützen wir Sie bei der Wahl eventueller Rechtsmittel.

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Autorin

Martina Schmischke
Tel.: +49 30 208 88 1293

Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 2/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.