BFH-Urteil vom 28. Juni 2022 (I R 24/21) zur abkommensrechtlichen Grenzgängerregelung im Verhältnis zur Schweiz

Mit Urteil vom 28. Juni 2022 (I R 24/21) hat sich der BFH sowohl zum Verhältnis von Art. 15 Abs. 4 DBA-CH zu Art. 15a DBA-CH als auch zur Anwendung der Grenzgängerregelung bei einer Teilzeitbeschäftigung geäußert.

Sachverhalt

Der im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Kläger übte im Streitjahr 2013 seine Anstellungstätigkeit als Prokurist bei einer Schweizer AG aus. Der Arbeitsvertrag sah drei Arbeitstage pro Monat vor. Streitig war die Grenzgängereigenschaft des Klägers i. S. d. Art. 15a DBA-CH 1971/2010 (DBA-CH). Das Finanzamt sah diese als erfüllt an und unterwarf die Arbeitnehmereinkünfte des Klägers der deutschen Besteuerung. Der Kläger begehrte dagegen die Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung als leitender Angestellter i. S. d. Art. 15 Abs. 4 DBA-CH. Nach erfolglosem Vorverfahren und erstinstanzlicher Klage legte der Kläger Revision beim BFH ein.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers war unbegründet.

Der Kläger erfüllte zwar die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 DBA-CH, wonach das Besteuerungsrecht der Arbeitnehmereinkünfte grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat der Kapitalgesellschaft (hier der Schweiz) zusteht. Dies gelte jedoch nur vorbehaltlich der Anwendung der Grenzgängerregelung nach Art. 15a DBA-CH, wonach der Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers (hier Deutschland) sein Besteuerungsrecht behalte.

Grenzgänger im Sinne des Art. 15a DBA-CH ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Die Grenzgängereigenschaft entfällt gemäß Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-CH nur dann, wenn bei einer Vollzeitbeschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund der Arbeitsausübung keine Rückkehr an den Wohnsitz erfolgt. Eine Beschäftigung in Teilzeit führt zu einer zeitanteiligen Kürzung der 60-Tage-Grenze.

Der Kläger konnte keine ausreichenden Nichtrückkehrtage nachweisen. Der BFH stellt zudem klar, dass der Begriff „regelmäßig“ in Art. 15a Abs. 2 S. 1 DBA-CH keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraussetzt. Dass der Kläger im Streitfall – wie von ihm behauptet – nur ein- bis zweimal oder doch häufiger den Arbeitsort in der Schweiz aufgesucht hat, konnte somit dahinstehen. Auch § 7 KonsVerCHEV stehe dem nicht entgegen, da diese Regelung – als Regelung einer Rechtsverordnung – gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt und damit zu verwerfen war.

Bedeutung für die Praxis

Berufspendler*innen mit Tätigkeitsort in der Schweiz und unbeschränkter Einkommensteuerpflicht in Deutschland sind angehalten, ihre Steuerpflichten im Blick zu behalten. Durch Anwendung der abkommensrechtlichen Grenzgängerregelung wird Deutschland regelmäßig ein Besteuerungsrecht an den Arbeitnehmereinkünften in der Schweiz zugestanden. Die Grenzgängerregelung kommt nur dann nicht zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund der Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Bei geringerem Anstellungsumfang sind diese Tage zeitanteilig zu kürzen. Die erhöhten Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 AO) des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten sind zu beachten.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 1/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.