Absage des EuGH zur Berücksichtigung „finaler“ ausländischer Betriebsstättenverluste

Müssen „finale“ Verluste einer ausländischen Betriebsstätte, für die eine abkommensrechtliche Freistellung greift, in Deutschland zum Abzug zugelassen werden? Eine solche Pflicht lässt sich nicht aus der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) ableiten, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) kürzlich in seinem Urteil vom 22. September 2022 (C-538/20).

Sachverhalt

Eine in Deutschland ansässige Muttergesellschaft eröffnete im Jahr 2004 eine Betriebsstätte in Großbritannien. Die Betriebsstätte erzielte keine Gewinne, sodass sie 2007 geschlossen wurde. Nach britischem Recht wurden alle Möglichkeiten zum Abzug der Verluste ausgeschöpft und es entstanden sog. „finale“ Verluste. Die Muttergesellschaft begehrte daraufhin die Berücksichtigung der Betriebsstättenverluste in Deutschland.

Nach Weigerung der Finanzverwaltung gab das Hessische Finanzgericht im Jahr 2018 der Klägerin Recht, woraufhin das Finanzamt Revision einlegte. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH u. a. die Frage vor, ob bei einer DBA-Freistellung ein europarechtliches Gebot zur Verlustberücksichtigung vorliege.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der EuGH stellt zuvörderst eine Ungleichbehandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Betriebsstätten fest, da bei den Erstgenannten Verluste im Inland berücksichtigt werden, bei den Letztgenannten hingegen nicht. Eine solche Ungleichbehandlung sei nur dann zulässig, wenn sich die Sachverhalte nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden. Die Vergleichbarkeit sei unter der Berücksichtigung des Ziels der streitigen nationalen Bestimmung zu prüfen. Nach ständiger Rechtsprechung befänden sich gebietsansässige und gebietsfremde Betriebsstätten aufgrund der Maßnahmen zur Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung grundsätzlich nicht in einer vergleichbaren Lage. Dieser Grundsatz gelte insbesondere bei der DBA-Freistellungsmethode.

Werden Gewinne einer ausländischen Betriebsstätte von der Besteuerung in Deutschland aufgrund eines DBA ausgenommen, müsse dies nach Auffassung des EuGH gemäß der sog. Symmetriethese entsprechend für Verluste gelten. Denn die Maßnahmen zur Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung hätten keine doppelte Nichtbesteuerung der Gewinne bzw. keine doppelte Berücksichtigung der Verluste zum Ziel. Da Deutschland bei der Anwendung der DBA-Freistellungsmethode auf seine Besteuerungsbefugnis verzichte, befinde sich eine Gesellschaft mit einer gebietsfremden Betriebsstätte nicht in einer vergleichbaren Situation wie eine Gesellschaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte. Folglich führe die Nichtberücksichtigung der „finalen“ ausländischen Betriebsstättenverluste im Ansässigkeitsstaat, wenn sie aufgrund eines DBA von der Besteuerung ausgenommen werden, zu keiner Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.

Bedeutung für die Praxis

Der EuGH hat seine frühere Rechtsprechung (Rs. Timac Agro, Urteil vom 17. Dezember 2015 – C-388/14) zur Behandlung von Freistellungsbetriebsstätten in seinem neuen Urteil bestätigt. Durch DBA freigestellte Betriebsstätten sind mit inländischen nicht vergleichbar, sodass kein grundfreiheitlicher Eingriff vorliegt. Somit können ausländische Betriebsstättenverluste bei Anwendung der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode im inländischen Stammhaus in Zukunft nicht berücksichtigt werden. Ob damit aber die Diskussion um die steuerliche Berücksichtigung sog. „finaler Verluste“ endgültig und für jedwede Konstellation zu einem (profiskalischen) Ende gekommen ist, bleibt abzuwarten.

Link zum Urteil: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:62020CJ0538

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Autor

Marcel Max
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 4/2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.