Anspruch des Energieversorgungsunternehmens auf Abschluss eines Wegenutzungsvertrags

OLG Frankfurt macht Vorgaben zu den Voraussetzungen eines solchen Anspruchs.

Mit Urteil vom 29. November 2022 (Az. 11 U 110/18 (Kart)) hat der 1. Kartellsenat des OLG Frankfurt zu einem Anspruch des Energieversorgungsunternehmens auf Abschluss eines Wegenutzungsvertrags entschieden.

Die Leitsätze der Entscheidung lauten:

  1. Wenn ein Energieversorgungsunternehmen, das keine Kundenanlage, sondern ein Energieversorgungsnetz betreibt, eine Umspannanlage errichtet hat, an die Niederspannungsleitungen mit Weiterverzweigungen zur Versorgung einer aus mehreren Einzelbauten und insgesamt über 250 Wohneinheiten bestehenden größeren Wohnlage angeschlossen sind, so können die eine öffentliche Straße querenden Niederspannungsleitungen nicht als „Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern“ i. S. d. § 46 Abs. 1 S. 1 EnWG angesehen werden und dementsprechend auch keinen Anspruch auf Abschluss eines einfachen Wegenutzungsvertrags mit der Gemeinde begründen.
  2. Die Wertungen in §§ 1, 46 Abs. 1, Abs. 2 EnWG sind bei der Prüfung einer vermeintlichen Behinderung oder Diskriminierung gem. § 19 Abs. 2 GWB zu berücksichtigen.

Die Klägerin begehrte, dass im Verfahren festgestellt wird, dass die beklagte Kommune verpflichtet ist, einen Wegenutzungsvertrag für die Verlegung von drei in Schutzkabeln befindlichen Niederspannungskabeln abzuschließen. Nach dem OLG Frankfurt steht der Klägerin weder nach § 46 Abs. 1 EnWG noch nach § 19 Abs. 2 GWB der geltend gemachte Anspruch zu.

Grundsätzlich hat der Senat die Anspruchsberechtigung der Klägerin zunächst bejaht, da sie Eigentümerin der Umspannanlage und der daran angeschlossenen Niederspannungsleitungen ist. Die Klägerin ist als Energieversorgungsunternehmen (EVU) anspruchsberechtigt (§ 3 Nr. 18 EnWG), wobei alle Anlagen, die einer Versorgung der Letztverbraucher dienen, als Netz anzusehen sind.

Die Beklagte ist als Eigentümerin der betroffenen Verkehrsflächen auch Anspruchsverpflichtete. Es handelt sich um öffentliche Verkehrsflächen.

Allerdings dienen die streitgegenständlichen Leitungen aus Sicht des Senats jedoch nicht der unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern, wie es in § 46 Abs. 1 S. 1 EnWG vorgesehen ist.

Welche Leitungen der unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern i. S. d. § 46 Abs. 1 EnWG tatsächlich dienen, ist anhand der konkreten Umstände im Einzelfall zu beurteilen. Vorliegend führten die drei Leitungen jeweils zu einer Mehrzahl einzelner Hauseingänge mit wiederum mehreren Nutzern. Zuschnitt und Dimension sprachen ebenso gegen die Annahme von Direktleitungen i. S. d. § 46 Abs. 1 EnWG. Die Leitungen stellen sich unter Berücksichtigung des Netzplanes als netzbezogene Leitungen dar.

Der Anspruch war aus Sicht des OLG Frankfurt auch nicht über §§ 19 Abs. 2 Nr. 4, Nr. 1 GWB zu begründen. Im Ergebnis stellt die nach § 46 Abs. 2 EnWG erfolgte Vergabe des Netzes an die lokale Konzessionsinhaberin sowie die zu gewährleistende Wirtschaftlichkeit der allgemeinen Versorgung und das Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 EnWG für die Einräumung eines einfachen Wegerechts auch kartellrechtlich einen sachlichen Grund dar, der Klägerin die Verlegung der streitgegenständlichen Leitungen zu verweigern. Die Beklagte habe ein berechtigtes Interesse, die Wirtschaftlichkeit des ihrer Konzessionsinhaberin überlassenen Netzes nicht durch alternativen Leitungsbau mit geringen Investitionskosten und höheren Erlösen zu gefährden. Das EnWG habe klare Vorgaben für einen Anspruch im alternativen Leitungsbau in § 46 Abs. 1 EnWG niedergelegt. Ersichtlich hat der Gesetzgeber mit § 46 Abs. 1 und 2 EnWG ein Konzept im Leitungsbau verfolgt, welches nicht unabhängig von diesen Wertungen über allgemeine kartellrechtliche Wertungen unterlaufen werden soll. Das EnWG enthält vielmehr spezialgesetzliche Vorgaben, die im Rahmen der allgemeinen Kartellrechtsprüfung zu beachten sind. Die Beklagte kann damit berechtigt die § 46 Abs. 1 und Abs. 2 EnWG i. V. m. § 1 EnWG zugrundeliegenden Wertungen als sachlichen Grund im Rahmen des § 19 Abs. 2 GWB anführen.

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Autor

Dr. Hans-Martin Dittmann
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