Blackout, Brownout und Lastunterdeckung – was gilt bei (geplanten) Unterbrechungen der Stromversorgung?

Der zuletzt von den vier Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW veröffentlichte „Abschlussbericht Sonderanalysen Winter 2022/2023“ zeichnet eine angespannte Versorgungssituation und prognostiziert zeitweise Lastunterdeckungen im europäischen Strommarkt. Der vollständige Ausfall der Netze in Deutschland (sog. Blackout) ist nach Einschätzung der Netzbetreiber und der Bundesregierung dennoch sehr unwahrscheinlich.

Wahrscheinlicher ist dagegen der sog. Brownout, also das Szenario eines geplanten manuellen Abschaltens von Netzlast. Zwar handelt es sich dabei um eine Letztmaßnahme für den Fall, dass alle anderen Maßnahmen zur Stabilisierung der Netzsicherheit keine oder nur unzureichende Wirkung zeigen. Es gehört jedoch zu einer guten Vorsorge, auch den Notfall einmal gründlich zu durchdenken. Dabei stellen sich aktuell einige Fragen.

Welche Notfallpläne gibt es?

Staatliche Stellen haben die Versorgungs- und Netzsicherheit im Elektrizitätssektor zunächst für Kritische Infrastrukturen thematisiert. So gibt es verschiedene Veröffentlichungen zur Notstromversorgung, beispielsweise vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) oder vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Diese Beiträge können Unternehmen eine Orientierungshilfe in der Stromversorgungskrise bieten. Sie lassen aber ein Handlungskonzept für die energiewirtschaftliche Praxis vermissen.

Konkreter wird es mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium Anfang 2022 veröffentlichen Risikovorsorgeplan, der ein Handlungskonzept für den Elektrizitätssektor bereithält. Von der Einsicht getragen, dass Strom an Ländergrenzen nicht Halt macht, wird die Präventions- und Krisenplanung per EU-Verordnung zunächst in die Hände der europäischen Übertragungsnetzbetreiber gegeben. Diese definieren typische Auslöser für Stromversorgungskrisen, wie etwa den „Angriff auf kritische Infrastruktur“ und die „Knappheit der Energieträger Erdgas und Kohle“.

Basierend auf den europäischen Krisenszenarien bestimmt wiederum die Bundesnetzagentur (BNetzA) als „verlängerter Arm“ der Bundesregierung auf nationaler Ebene die Verfahren und die Kommunikation mit den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW.

Welche Verfahren gibt es bei Versorgungsstörungen?

Kommt es zu Versorgungsstörungen, würden zunächst die Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen ihrer Systemverantwortung Maßnahmen (z. B. Zuschalten von Kraftwerken) treffen. Stellt die Bundesregierung darüber hinaus den Krisenfall nach dem Energiesicherungsgesetz (EnSiG) fest, wäre die BNetzA als sog. Lastverteiler entscheidungsbefugt. Im Ernstfall, wenn das Repertoire der Netzbetreibermaßnahmen ausgeschöpft ist, würden Abschaltgruppen gebildet werden. Die Abschaltgruppen würden nacheinander, „rollierend“ leistungsreduziert bzw. vom Netz getrennt werden.

Derartige Maßnahmen erfordern enge Abstimmungen zwischen mehreren Netzbetreibern. Denn die meisten Stromverbraucher sind nicht unmittelbar an das Übertragungsnetz, sondern an das nachgelagerte örtliche Netz des Verteilernetzbetreibers angeschlossen. Daher erarbeiten die beteiligten vor- und nachgelagerten Netzbetreiber Konzepte für kritische Netzsituationen nach standardisierten Verfahren, die in einer technischen Norm namens „Zusammenarbeit der Netzbetreiber in der Kaskade“ festgelegt sind.

Gibt es eine Abschaltreihenfolge?

Eine feste Abschaltreihenfolge gibt es nicht. Anders als im Gasbereich gibt es im Stromsektor kein Gesetz, das etwa geschützte Kunden vom ersten Zugriff ausnimmt. Faktisch macht eine Lastverteilung aber eine Verteilungsentscheidungen erforderlich. Es müssen also im Notfall bestimmte Verbrauchergruppen prioritär berücksichtigt werden.

Eine Priorisierung bestimmter Stromverbraucher bei Abschaltungen im Notfall erfolgt dennoch nicht im rechtsfeien Raum. In einem von der Bundesregierung ausgerufenen Krisenfall (EnSiG-Fall) könnte die BNetzA zwar hoheitlich anordnen, dass ganze Versorgungsbereiche zeitlich und regional begrenzt von der Stromversorgung getrennt werden. Allerdings hat die BNetzA hier Vorgaben der Elektrizitätssicherungsverordnung (EltSV) zu beachten. Danach sind Abschaltungen nur zulässig, wenn mildere Maßnahmen (z. B. Leistungsverringerung) nicht ausreichen, um einen Netzzusammenbruch zu verhindern. Dabei darf die Deckung des Strombedarfs zur Erfüllung öffentlicher und anderer für die Bevölkerung lebenswichtiger Aufgaben nicht beeinträchtigt werden.

Es ist also davon auszugehen, dass z. B. Krankenhäuser und andere Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen (u. a. Polizei, Schulen, Feuerwehr, Wasserbetriebe), nur im äußersten Notfall vom Netz genommen würden. Daneben gibt es aber auch Grenzfälle, für die es schwer zu beurteilen ist, ob sie der Erfüllung öffentlicher und lebenswichtiger Aufgaben dienen. Was ist z. B. mit Betrieben, die Krankenhäuser mit hygienischer Wäsche versorgen und damit für die Funktionsfähigkeit der gesamten Einrichtung sorgen? Für derartige Grenzfälle hat sich in der Diskussion um die Gasmangellage der Begriff des „kritischen Dienstleisters“ etabliert. Kritische Dienstleister machen zu Recht darauf aufmerksam, dass auch sie einen lebenswichtigen Energiebedarf haben können. Das hat inzwischen auch die Bundesnetzagentur in einer Veröffentlichung aus dem September 2022 anerkannt.

Eine weitere Fallgruppe, die es gesondert zu betrachten gilt, ist die energieintensive Industrie. Industrieunternehmen erfüllen zwar in der Regel selbst keine öffentlichen Aufgaben. Dennoch können Abschaltungen wichtige Lieferketten, die für die Gesellschaft systemrelevant sind, stark beeinträchtigen. Insofern ließe sich auch hier ein lebenswichtiger Strombedarf im Einzelfall begründen.

Wie werden Informationen in Vorbereitung auf einen Krisenfall zwischen Netzbetreibern und Letztverbrauchern ausgetauscht?

Während im Gassektor eigens eine Online-Sicherheitsplattform als Kommunikationsplattform geschaffen wurde, über die Großverbraucher, BNetzA und Marktgebietsverantwortliche Informationen sammeln und austauschen, gibt es im Stromsektor aktuell keine vergleichbaren Kanäle.

Aber gerade Unternehmen mit hohem Strombedarf haben viele Fragen: Wie steht es genau um das Abschaltkonzept, das der Anschlussnetzbetreiber mit dem Übertragungsnetzbetreiber nach dem Risikovorsorgeplan der Bundesregierung zu erarbeiten hat? Welche Abschaltgruppen werden im örtlichen Verteilernetz für die rollierende Abschaltung gebildet? Gibt es Möglichkeiten, Ausnahmen von der Abschaltung vorsorglich zu begründen? In den meisten Fällen bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als auf den Anschlussnetzbetreiber zuzugehen und schlicht informal nachzufragen.

Autor

Tarek Abdelghany
Tel: +49 69 967 65 1613

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 4-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.