BGH: Zu Aufklärungspflichten des Immobilienverkäufers trotz möglicher Kenntnisnahme durch den Käufer

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 15. September 2023 (Az. V ZR 77/22) die Informations- und Aufklärungspflichten des Verkäufers in einer (Immobilien-)Transaktion deutlich verschärft. Der BGH hat entschieden, dass der Verkäufer einer Immobilie seiner vorvertraglichen Aufklärungspflicht gegenüber dem Käufer durch Bereitstellung von Unterlagen in einem Datenraum nur dann erfüllt, wenn und soweit er erwarten darf, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Die Einstellung von Unterlagen kurz vor Vertragsschluss und ohne gesondertem Hinweis an den Käufer genügt dem jedoch nicht.

Sachverhalt

Mit notariellem Kaufvertrag veräußerte die Verkäuferin im Jahr 2019 mehrere Gewerbeeinheiten unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin u. a., keine Kenntnis von etwaigen außergewöhnlichen Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr oder in der Zukunft zu haben und dass weitere Sonderumlagen in der Eigentümergemeinschaft nicht beschlossen worden seien.

Im Rahmen der Kaufvertragsverhandlungen hatte die Verkäuferin einen virtuellen Datenraum eingerichtet, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Am Freitag vor dem am darauffolgenden Montag stattfindenden Beurkundungstermin stellte die Verkäuferin – ohne einen entsprechenden Hinweis an die Käuferin – eine Sammlung der Beschlüsse ab 2007 in den elektronischen Datenraum ein. Darin war u. a. das Protokoll einer Eigentümerversammlung aus 2016 enthalten. In dieser Versammlung hatten die Eigentümer beschlossen, eine frühere Mehrheitseigentümerin auf Zahlung von 50 Mio. € für Umbaumaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Zugleich wurde die Erhebung einer Sonderumlage in gleicher Höhe von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten abgelehnt. Zur Durchsetzung der Sonderumlage wurde von einer anderen Eigentümerin Klage erhoben. Das Verfahren endete in einem Vergleich. Die Eigentümer der Gewerbeeinheiten müssen daraufhin eine Sonderumlage von zunächst 750.000 € – bei Bedarf bis zu 50 Mio. € – für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen aufbringen. Die Käuferin wurde sodann als neue Eigentümerin anteilig zur Tragung der Sonderumlage in Anspruch genommen. Daraufhin erklärte die Käuferin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.  

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

In seiner Entscheidung stellt der BGH zunächst allgemein fest, dass der Verkäufer die vorvertragliche Pflicht hat, den Käufer über Umstände aufzuklären, die – für den Verkäufer erkennbar – von ganz erheblicher Bedeutung sind, etwa weil sie den Vertragszweck vereiteln oder dem Käufer einen erheblichen Schaden zufügen können. Die Tatsache, dass Sanierungsmaßnahmen mit einem Kostenumfang von 50 Mio. € ausstanden, war nach Ansicht des BGH ein solcher offenbarungspflichtiger Umstand, über den die Verkäuferin die Klägerin hätte aufklären müssen.

Diese Aufklärungspflicht ist vorliegend nicht bereits dadurch entfallen, dass die Verkäuferin das Protokoll der Eigentümerversammlung aus 2016 kurz vor dem Beurkundungstermin in den Datenraum eingestellt hat und die Klägerin damit die Möglichkeit hatte, sich die Information selbst zu verschaffen.

Nach Auffassung des BGH erfüllt der Verkäufer seine Aufklärungspflicht gegenüber dem Käufer durch Bereitstellung von Unterlagen und Informationen nur dann, wenn der Käufer durch die Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Ob der Verkäufer die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigem Umstand erlangen wird, ist im Einzelfall zu entscheiden. Zu berücksichtigen sind etwa (1) die konkrete Durchführung und der Umfang einer Due Diligence, (2) die Struktur und Organisation des Datenraums und welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden sowie (3) welcher Art die Information ist, um deren Offenbarung es geht, und die Unterlage, in der sie enthalten ist, sowie der Zeitpunkt der Bereitstellung.

Im zu entscheidenden Fall vertrat der BGH die Ansicht, dass die Verkäuferin ihre Aufklärungspflicht nicht dadurch erfüllt hat, dass sie das Protokoll der Eigentümerversammlung aus 2016 drei Tage vor der Beurkundung in den Datenraum eingestellt hat. Auch wenn keine Frist zur Einstellung in den Datenraum vereinbart wurde, konnte die Verkäuferin nicht erwarten, dass die Käuferin ohne einen entsprechenden Hinweis der Verkäuferin so kurz vor der Beurkundung noch von dem Protokoll Kenntnis nehmen würde. Dies auch vor dem Hintergrund, dass aus den eingestellten Unterlagen das relevante Protokoll nicht ohne Weiteres ersichtlich war, da dieses nur Bestandteil einer eingestellten Protokoll-Sammlung war, die alle Beschlüsse seit 2007 beinhaltete.

Fazit und Ausblick

Der BGH macht in seiner Entscheidung deutlich, dass das bloße Einstellen – bisweilen auch „Verstecken“ – von Informationen und Unterlagen durch den Verkäufer in einen elektronischen Datenraum allein nicht ausreicht, um seine Aufklärungspflichten als Verkäufer über offenbarungspflichtige Umstände zu erfüllen. Der Verkäufer kann daher nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Käufer im Rahmen der Due Diligence auch tatsächlich alle bereitgestellten Daten prüft. Er ist vielmehr angehalten, genau darauf zu achten, wann und auf welche Weise er Informationen und Unterlagen im Datenraum offenlegt, um eine Haftung wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten zu vermeiden.

Ein sauber strukturierter Datenraum samt eindeutiger Dokumentbezeichnungen ist zur Erfüllung der Offenbarungspflichten somit unerlässlich. Weiterhin sollten zwischen den Parteien klare Regeln und Fristen zur Nutzung des Datenraums vereinbart werden. Sind Umstände erkennbar, die für den Käufer von erheblicher Bedeutung sein könnten, sollte hierauf gesondert hingewiesen werden. Die vorgenannten Punkte sollten ebenso wie Ausführungen zum Prozess und Umfang der durchgeführten Due Diligence zu Dokumentationszwecken auch in den Kaufvertrag aufgenommen werden.  

Autor

Hans-Jürgen Haß
Tel: +49 341 60 03 2414

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 3-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.