BGH bestätigt Berliner Nachbarschaftsregelung: Eine nachträglich angebrachte Dämmung darf auf das Nachbargrundstück ragen!

Der V. Zivilsenat des BGH wies die Revision eines Berliner Grundstückseigentümers zurück, der sich gegen die Überbauung des Nachbarn mit einer Wärmedämmung auf sein Grundstück wandte (Urteil vom 23. Juni 2022 – Az. V ZR 23/21).

Eine Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Regelung des Berliner Nachbarrechtsgesetzes (NachbG Bln), welche eine nachträgliche Dämmung in Form eines Überbaus gestattet, konnte nicht festgestellt werden.

Hintergrund

Bereits Ende des letzten Jahres hatte der BGH entschieden (Urteil vom 12. November 2021 – Az. VR 115/220), dass Regelungen zu der Duldung einer nachträglichen grenzüberschreitenden Wärmedämmung des Nachbargebäudes von der Gesetzgebungskompetenz der Länder umfasst sind. Schwerpunkt der jetzigen Entscheidung des BGH war nunmehr die Frage der Vereinbarkeit des in § 16a NachbG Bln verankerten Duldungsanspruchs mit dem durch Art. 14 GG gewährten Eigentumsschutz.

Sachverhalt und Prozessverlauf

Im hiesigen Fall beabsichtigt der Kläger, die Fassade seines Altbaus zu sanieren. Dazu soll der Giebel seines Hauses mit einer 16 cm starken Dämmschicht versehen werden. In diesem Ausmaß möchte der Kläger das Grundstück des Beklagten überbauen, dessen Gebäude etwa 7,5 Meter niedriger ist als das Gebäude des Klägers. Das Amtsgericht Pankow/ Weißensee und das Landgericht Berlin entschieden jeweils, dass der beklagte Nachbar die Dämmung zu dulden habe. Hiergegen wendete dieser sich mit der Revision an den BGH.

BGH äußert Zweifel an der Verfassungsgemäßheit von § 16a NachbG Bln

Der BGH wies die Revision zurück und entschied, dass der Beklagte den Überbau zu dulden habe. Der Wortlaut des § 16a NachbG Bln setze lediglich voraus, dass die Überbauung zum Zwecke der Wärmedämmung eines an der Grundstücksgrenze errichteten Bestandsgebäudes erfolgt. Dies sei hier der Fall.

Entscheidend war die Frage, ob § 16a NachbG Bln mit der Eigentumsgarantie des Nachbarn aus Art. 14 GG vereinbar ist. Hätte der BGH die Regelung als verfassungswidrig angesehen, hätte er die Sache gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen. Denn nur dieses hat das Recht, ein formelles Gesetz für nichtig zu erklären. Der BGH äußerte Zweifel an der Norm, u. a. weil der Duldungsanspruch in anderen Bundesländern durchweg von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird. So ist nach Regelungen mancher Bundesländer etwa erforderlich, dass der Überbau den Nachbarn nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen darf oder dass eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann (z. B. durch Innenwärmedämmung).

BGH sieht Vorschrift im Ergebnis noch als verhältnismäßig an

Der BGH war aber letztlich nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 16a NachbG Bln überzeugt, da die Interessen des duldungspflichtigen Nachbarn ausreichend berücksichtigt würden. Den Gerichten sei zwar nach dem Willen des Berliner Landesgesetzgebers eine Einzelfallbetrachtung selbst in besonders gelagerten Ausnahmefällen versagt. So sei der Duldungsanspruch etwa selbst dann gegeben, wenn die grenzüberschreitende Dämmung dazu führt, dass der Platz auf dem Nachbargrundstück nicht mehr ausreicht, um Mülltonnen oder Fahrräder abzustellen oder über einen Weg zwischen den Häusern zur Straße zu bringen.

Andererseits regele das Berliner Nachbarrechtsgesetz u. a., dass der duldungspflichtige Nachbar eine Entschädigung in Form einer Geldrente erhalte und der überbauende Nachbar den Überbau entfernen müsse, wenn der duldungspflichtige Nachbar selbst an die Grenzwand anbauen wolle. Entscheidend sei im Ergebnis, so der BGH, dass die Vorschrift nicht allein das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer betreffe. Vielmehr diene die Norm dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang, welchem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsrang zukommt.

Fazit und Ausblick

Die Entscheidung des Gerichts ist insoweit zu begrüßen, als dass sie die Erreichung der raschen Klimaneutralität fördern wird. Eine wichtige Stellschraube für den Klimaschutz ist neben dem Verkehrssektor vor allem der Bausektor. Um dort zu signifikanten Energieeinsparungen zu kommen, müssen alte Bestandsgebäude gedämmt werden. Die Entscheidung des BGH schafft im Bundesland Berlin (vorläufig) Rechtssicherheit: Grundstückseigentümer haben den Überbau mit einer Wärmedämmung zu dulden und ihr Eigentumsrecht steht generell (!) hinter dem Klimaschutz zurück.

Wenn aber dem duldungspflichtigen Grundstückseigentümer der Einwand der unzumutbaren Härte in jedem denkbaren Fall versagt bleibt, ist fraglich, was von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG noch übrig bleibt. Die Begründung des BGH für die Rechtmäßigkeit des generalisierenden Ansatzes des § 16a NachbG Bln, wonach „Streitigkeiten über Ausnahmen jeder Art die gewünschte schnelle und flächendeckende Dämmung von Bestandsgebäuden insgesamt erheblich verzögern oder sogar vereiteln können“, überzeugt auf einer rein rechtlichen Ebene daher nicht.

Neubauten müssten allerdings weiterhin so geplant sein, dass die Wärmedämmung in den Grenzen des eigenen Grundstücks bleibt.

Unsere Anwält*innen sind mit den Feinheiten des Nachbarrechts vertraut und unterstützen Sie gerne bei der Verhandlung und dem Abschluss von jeglichen Nachbarschaftsvereinbarungen.

Autoren

Christoph von Loeper
Tel: +49 30 208 88 1422

Dr. Jan Christoph Funcke
Tel: +49 30 208 88 1432

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 3-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.