Kammergericht – Die drohende Insolvenz des GmbH-Mieters steht einer Schriftformkündigung nicht entgegen

Das Kammergericht (Urteil vom 7. November 2022 – 8 U 157/21) hat entschieden, dass Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt der „Existenzgefährdung“ auch dann einer auf die fehlende Schriftform gestützten Kündigung einer juristischen Person als Mieter von Gewerberäumen nicht entgegensteht, wenn im Falle der Beendigung des Mietverhältnisses die Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Mieters zu erwarten wäre.

Sachverhalt

In dem Mietvertrag hieß es unter § 11 Nr. 8 wie folgt: „Dem Mieter obliegt die Verkehrssicherungspflicht. Er hat die Geh- und Fahrwege zu reinigen, Schnee zu beseitigen und bei Glätte der Streupflicht nachzukommen.“

In der Folgezeit enthielten die Nebenkostenabrechnungen eine Position „Winterdienst“ zu anteilig 1.900 €, die auch ab Dezember 2016 von dem neu in den Mietvertrag eingetretenen klagenden Mieter entrichtet wurde. Nach Eigentumserwerb im Jahr 2020 hatte der neue Vermieter die Position „Winterdienst“ in der Nebenkostenabrechnung für 2019 dagegen mit 5.385 € berechnet, was der Mieter anschließend monierte. Der beklagte Vermieter korrigierte daraufhin die Abrechnung und erläuterte darin, dass er nunmehr eine „pauschale Kostenbeteiligung“ an den Winterdienstkosten in Höhe von 1.900 € angesetzt habe. Gleichzeitig bat der Vermieter den Mieter in dem Schreiben um schriftliche Bestätigung dieser Abrechnungsmethode für alle künftigen Abrechnungen, was Letzterer tat.

Mit Schreiben vom 4. Juni 2021 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis gemäß §§ 550, 580a II BGB zum 31. Dezember 2021 unter Berufung auf eine unzureichende Bestimmbarkeit des Mietgegenstandes. Dessen ungeachtet verlangt der Mieter vom Vermieter die Zustimmung zur Aufnahme eines weiteren Mieters in den Mietvertrag. Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2022 führte der Vermieter einen weiteren Schriftformmangel wegen der Änderung der Winterdienstregelung nach § 11 Nr. 8 des Mietvertrags in den Prozess ein. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Beendigung des Mietverhältnisses unter Abweisung der Widerklage im Übrigen (erst) zum 31. März 2022 festgestellt.

Der Mieter trägt zur Begründung seiner Berufung u. a. vor, die Berufung auf eine Kündbarkeit wegen Formmangels sei treuwidrig, da ein Umzug während der Coronapandemie zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis, nämlich einer Existenzbedrohung bzw. drohenden Insolvenz des Mieters, führen würde. Es sei schwierig, einen geeigneten neuen Standort zu finden. Vor allem wäre der Betrieb für eine Übergangszeit einzustellen. Er könne sich auf Treuwidrigkeit berufen, da ihm ein Formmangel zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen sei.

Der Vermieter beantragte, die Berufung zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussberufung unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts festzustellen, dass das Mietverhältnis – vor dem Hintergrund der Änderung der Winterdienstregelung nach § 11 Nr. 8 des Mietvertrags – durch die Kündigung des Vermieters vom 4. Juni 2021 bereits zum 31. Dezember 2021 endet. Hierin liege ein Schriftformverstoß.

Die Berufung des Mieters hatte keinen Erfolg, die Anschlussberufung des Vermieters war erfolgreich.

Inhalt der Entscheidung

Das Kammergericht hat entschieden, dass die Kündigung zum 31. Dezember 2021 wirksam ist. Denn in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 4. Juni 2021 lag ein Schriftformmangel gemäß § 550 BGB vor, sodass das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit geschlossen galt und in der Frist des § 580a II BGB kündbar war. Denn der Mietvertrag wurde ohne formwahrende schriftliche Niederlegung einverständlich dahin geändert, dass der Mieter nicht zur Ausführung des Winterdienstes verpflichtet ist, sondern zur Zahlung einer Kostenpauschale von 1.900 € pro Jahr bei Ausführung des Winterdienstes durch den Vermieter. In der Einführung einer Nebenkostenpauschale anstatt einer Direktausführung durch den Mieter liegt eine wesentliche Vertragsänderung. Eine solche vertragsändernde Regelung kam auch vor dem Zeitpunkt der Kündigung (4. Juni 2021) zustande. Die Kündigung wegen Unbestimmtheit greift dagegen nicht durch.

Der Vermieter ist auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, sich auf die Kündbarkeit des Mietvertrags gemäß § 550 BGB zu berufen. Treuwidrig handelt die Vertragspartei, die eine nachträgliche, nicht formgerechte Abrede, die nur sie begünstigt, zum Anlass nimmt, sich von dem ihr lästig gewordenen Mietvertrag zu lösen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bei der Vertragsänderung geht es nicht lediglich um die Begründung einer Zahlungspflicht des Mieters, sondern diese ist mit der Leistungspflicht des Vermieters unter Übernahme der Verkehrssicherungspflicht verbunden. Die Treuwidrigkeit folgt auch nicht aus einer Existenzbedrohung des Mieters. Der Mieter als GmbH kann sich auf die Gefährdung seiner „Existenz“ nicht berufen. Im Gegensatz zu Menschen, deren Würde einschließlich ihrer wirtschaftlichen Existenz grundrechtlich geschützt werden, handelt es sich bei Kapitalgesellschaften um künstliche Schöpfungen, die der Haftungsbegrenzung der hinter ihnen stehenden Gesellschafter dienen und deren Existenzberechtigung von der Rechtsordnung nur anerkannt wird, solange sie aus eigener Kraft handeln können. Der bloße Umstand einer Betriebsunterbrechung ist regelmäßige Folge der Kündigung und Räumung und kann nicht als außergewöhnliches, schlechthin untragbares Ergebnis angesehen werden. Für eine Existenzgefährdung natürlicher Personen als Gesellschafter ist hier nichts erkennbar.

Fazit und Ausblick

Die Mietvertragsparteien sollten unbedingt derartige „Klassiker“ an Absprachen außerhalb des Mietvertrags vermeiden, um die vereinbarte Festlaufzeit nicht zu gefährden. Denn die Berufung auf die Treuwidrigkeit der Kündigung wird dem Gekündigten in aller Regel versagt bleiben.

Tragisch ist der Fall jedenfalls deswegen, weil der Mieter den Schriftformverstoß gegenüber dem neu in den Mietvertrag eingetretenen Vermieter selbst offenbart hat. Es ist daher immer abzuwägen, ob man einen (neuen) Vermieter auf einen Schriftformverstoß hinweist oder diesen unter Inkaufnahme eines finanziellen Nachteils – im vorliegenden Fall 3.485 € für ein Jahr – nicht besser verschweigt.

Gerne unterstützen wir Sie hinsichtlich aller Fragen zu Schriftformrisiken sowie deren Behebung.

Autor

Christoph von Loeper
Tel: +49 30 208 88 1422

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 2-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.