FG Münster – Nachweis der kürzeren Restnutzungsdauer eines Gebäudes: FG Münster konkretisiert Anforderungen!

Die steuerliche Absetzung für Abnutzung (AfA) – „Abschreibung“ – eines Gebäudes bestimmt sich regelmäßig nach gesetzlich festgelegten, typisierten Prozentsätzen (§ 7 Abs. 4 S. 1 EStG).

Alternativ kann (Wahlrecht!) die Abschreibung für ein (i. d. R. gebraucht erworbenes) Gebäude auch entsprechend der (verkürzten) tatsächlichen Nutzungsdauer vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 S. 2 EStG); die dafür erforderlichen Nachweise hat der Steuerpflichtige im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten zu erbringen.

Der BFH lässt diesbezüglich in seinem Urteil vom 28. Juli 2021 (Az. IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108) jede Darlegungsmethode zu, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.

Das FG Münster konkretisiert die Nachweisanforderungen an eine kürzere Restnutzungsdauer in seinem Urteil vom 27. Januar 2022 (Az. 1 K 1741/18 E, rkr.).

Urteilsfall

Der Kläger erwarb 2011 im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens ein Grundstück mit einem im Jahr 1955 errichteten Gebäude (Mehrfamilienhaus), welches er seitdem zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gem. § 21 EStG nutzte. Das Amtsgericht hatte im Zwangsversteigerungsverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Grundstückswerts in Auftrag gegeben. Der Sachverständige machte darin Angaben zum Modernisierungsstand und zu erforderlichen Instandsetzungsarbeiten und kam danach u. a. zu einer Restnutzungsdauer des Gebäudes von 30 Jahren. Der Sachverständige hatte dabei dem Gutachten die Regelungen der zum Bewertungsstichtag (17. Mai 2010) gültigen Wertermittlungsverordnung (WertV) zugrunde gelegt.

Der Kläger machte – insofern im Einklang mit dem Gutachten – in seinen Einkommensteuererklärungen auf Basis einer Restnutzungsdauer von 30 Jahren eine jährliche AfA des Gebäudes von 3,33 % als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung geltend. Das Finanzamt berücksichtigte demgegenüber lediglich die gesetzlich vorgesehene Regelnutzungsdauer von 50 Jahren und damit den AfA-Satz von 2 %. Das Gutachten belege weder eine kürzere technische Nutzungsdauer (bspw. durch Darlegung eines materiellen Verschleißes der Rohbauelemente) noch eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer im steuerrechtlichen Sinn. Die Ermittlung der Restnutzungsdauer im Sinne der WertV sei auf die steuerrechtliche Restnutzungsdauer nicht übertragbar. Das FG Münster widersprach dieser Auffassung und gab dem Kläger recht.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des FG Münster muss das Finanzamt jede Berechnungsmethode akzeptieren, die sachgerecht und plausibel auf die Ermittlung der technischen oder wirtschaftlichen Restnutzungsdauer gerichtet ist; so wie im Streitfall das Gutachten eines Bausachverständigen auf Basis der WertV. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens sei – entgegen der Auffassung des Finanzamts – nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer. Erforderlich sei lediglich, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Faktoren geben, wie bspw. den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung oder rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gebäudes begrenzen können.

Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen keine Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden könne, würde eine Verengung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast übersteigen (so schon der BFH v. 28. Juli 2021 (NV)).

Die Schätzung sei nur dann abzulehnen, wenn sie eindeutig außerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens liege. Im Urteilsfalle hatte der Sachverständige nach Auffassung des Gerichts aufgrund sachlicher Kriterien eine von der gesetzlichen Typisierung abw. geringere Restnutzungsdauer von 30 Jahren ermittelt und dabei fundierte Ausführungen zu den erforderlichen Instandsetzungen und zum Zustand des Gebäudes gemacht. Die modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer von 30 Jahren anhand der Wertermittlungsverordnung war somit für das Gericht nachvollziehbar und liege jedenfalls nicht (erheblich) außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens.

Praktische Auswirkungen

Das Urteil des FG Münster vom 27. Januar 2022 ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen.

Zwar hat sich die Finanzverwaltung dieser Auffassung bislang noch nicht angeschlossen, sodass in vergleichbaren Fällen erforderlichenfalls geklagt werden müsste. Dennoch bestätigt es das grundlegende BFH-Urteil vom 28. Juli 2021 (NV), sodass es in der Praxis den Finanzämtern künftig schwererfallen wird, einer kürzeren (Rest-)Nutzungsdauer gem. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG auf Basis sachgerechter Berechnungsmethoden die Zustimmung zu verweigern.

Autor:

Christian Giesselmann
Tel: +49 221 28 20 2461

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.