EuGH – Mindestvergütung nach HOAI in sog. Altfällen geschuldet

Hintergrund der Thematik

In einem unserer Newsletter aus dem vergangenen Jahr hatten wir die zum 1. Januar 2021 in Kraft getretenen gesetzgeberischen Änderungen der HOAI vorgestellt. Wesentlicher Punkt war, dass die Vertragsparteien das Honorar für die von der HOAI umfassten Leistungen ab dem 1. Januar 2021 frei vereinbaren können. Für die Leistungen, für die zuvor verbindliche Mindest- und Höchsthonorarsätze galten (d. h. vereinbarte Pauschalvergütungen, welche insbesondere die Mindesthonorarsätze unterschritten, waren unwirksam), bestehen die bisherigen Honorartafeln der HOAI nur noch unverbindlich zur Orientierung für die Vereinbarung der Honorarhöhe fort.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nämlich am 4. Juli 2019 (C-377/17) entschieden, dass das alte Preisrecht der HOAI in Gestalt der verbindlichen Mindest- und Höchsthonorarsätze gegen EU-Recht verstößt (Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG). Der deutsche Gesetzgeber hat daraufhin mit der Neufassung der HOAI das nationale Recht an die Vorgaben des EuGH-Urteils angepasst.

Rechtsunsicherheit bestand aber für die vor dem 1. Januar 2021 abgeschlossenen Verträge, die das Mindestsatzhonorar unterschritten („Altfälle“). Denn unklar war bislang, ob die Planer hier (nachträglich) den Mindestsatz verlangen können, d. h. sich auf das alte zwingende Preisrecht berufen und damit den vereinbarten Pauschalvergütungsanspruch „aufstocken“ können. Diese Rechtsunsicherheit hat der EuGH nunmehr nach Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) beseitigt.

Inhalt der Entscheidung

Der EuGH hat entschieden (Urt. v. 18. Januar 2022 – C S-261/20), dass das Unionsrecht HOAI-Mindestsatzklagen in Altfällen nicht entgegensteht.

Wesentliches Argument ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt (also die HOAI) und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.

Denn eine Richtlinie der EU – anders als bei einer Verordnung – richte sich nur an den Mitgliedsstaat und könne dem Einzelnen keine Verpflichtungen auferlegen bzw. zwischen den Parteien keine unmittelbare Wirkung entfalten. Konkret würde die Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie dem Planer das Recht nehmen, ein Honorar in der Höhe einzufordern, die dem in den nationalen Vorschriften vorgesehenen Mindestsatz entspricht.

Fazit und Ausblick

Die – sehr verkürzt – dargestellte Entscheidung des EuGH schafft zumindest Rechtsklarheit. Nationale Gerichte dürfen die HOAI-Mindestsätze auf sog. Altfälle anwenden. Hier werden voraussichtlich eine Vielzahl an „Aufstockungsklagen“, die zuvor ruhend gestellt oder aber wegen der unsicheren Rechtslage bislang nicht erhoben wurden, zur Entscheidung vor den deutschen Gerichten anstehen.

Autor

Christoph von Loeper
Tel: +49 30 208 88 1422

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 1-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.