Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz | (Referentenentwurf 2.0): Einschränkungen für iMVZ – ja oder nein?

Am 15. Juni 2023 hatte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune vorgelegt (GVSG; vgl. Mazars Newsletter Healthcare 3/2023).

Der Referentenentwurf wurde umgehend als unzureichend kritisiert, insbesondere weil er keine Aufhebung der Budgetierung im hausärztlichen Bereich vorsah. Dann passierte lange nichts. Mitte Januar 2024 wurde ein neuer Referentenentwurf zum GVSG bekannt, der auf den 19. Dezember 2023 datiert ist. An diesem wurde bemängelt, dass Einschränkungen für sogenannte Investoren-MVZ (iMVZ) entgegen der Ankündigung im Arbeitsentwurf des BMG vom Januar nicht enthalten seien. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, zumal mit dem GVSG nunmehr eine bereits im Koalitionsvertrag angekündigte und nachfolgend dargestellte Regelung umgesetzt werden soll.

Koalitionsvertrag und Regelung im Referentenentwurf des GVSG

Der am 24. November 2021 vorgestellte Koalitionsvertrag erwähnt MVZ nur ein einziges Mal. Wörtlich heißt es:

Wir stellen gemeinsam mit den KVen die Versorgung in unterversorgten Regionen sicher. Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf. Die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren und deren Zweigpraxen erleichtern wir und bauen bürokratische Hürden ab. Entscheidungen des Zulassungsausschusses müssen künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden.

Der Referentenentwurf sieht vor, dem § 96 Abs. 2a SGB V folgende Sätze anzufügen:

Die in Satz 1 genannten Entscheidungen des Zulassungsausschusses für Ärzte sind im Einvernehmen mit der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörde zu treffen. Das Einvernehmen gilt als erteilt, wenn die für die Sozialversicherung zuständige oberste Landesbehörde bei der Beschlussfassung keine entgegenstehende Erklärung abgibt.

In § 96 Abs. 2a Satz 1 SGB V finden sich verschiedene Entscheidungsgegenstände, die auch MVZ betreffen, etwa die Durchführung von Nachbesetzungsverfahren oder die Verlegung eines Vertragsarztsitzes oder einer genehmigten Anstellung nach § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV. Wie bereits im Mazars Newsletter Healthcare 1/2022 festgestellt, steht die Regelung in klarem Widerspruch zum beabsichtigten und von Gesundheitsminister Lauterbach mehrfach angekündigten Bürokratieabbau. Wenig erhellend für den Sinn der o. g. Regelungserweiterung in § 96 Abs. 2a SGB V ist ein Blick in die Gesetzesbegründung. Dort heißt es unter anderem:

Die vorliegende Änderung zielt darauf ab, die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten der zuständigen obersten Landesbehörden hinsichtlich der Entscheidungen der Zulassungsausschüsse zu erweitern. Entsprechend den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages wird das bisherige Mitberatungsrecht zugunsten der zuständigen obersten Landesbehörden um ein Mitentscheidungsrecht ergänzt. Die Länder werden somit in die Lage versetzt, ihre versorgungsrelevanten Erkenntnisse in den Zulassungsausschüssen verbindlich zur Geltung zu bringen, die vertragsärztliche Versorgung maßgeblich mitzugestalten und so beispielsweise zum Abbau von Überversorgung beizutragen. Zugleich ist aus Gründen der Versorgungssicherheit zu vermeiden, dass dieser zusätzliche Verfahrensschritt die Effektivität der Verfahrensbearbeitung und den zeitnahen Vollzug der Versorgungsentscheidungen der Zulassungsausschüsse beeinträchtigt.

Interessanterweise heißt es in der Gesetzesbegründung wenig später, dass die „obersten Landesbehörden auch ihr bisheriges Mitberatungsrecht in der Regel sehr zurückhaltend wahrgenommen haben.“ Statt aber das Mitberatungsrecht, für das es offensichtlich keinen Bedarf gibt, abzuschaffen, wird die Regelung weiter verkompliziert und die ohnehin unzureichende Effektivität gefährdet. Wie die „Aufwertung“ des bestehenden Mitberatungsrechts zu einem Mitentscheidungsrecht die Versorgung verbessern soll, bleibt völlig unklar.

Kritik und Fazit

Die Behauptung des Gesetzgebers, die bereits de lege lata bestehende Beschränkung auf zulassungsrechtliche Verfahren mit besonderer Versorgungsrelevanz, das im Rahmen der Beschlussfassung in der Sitzung zu erklärende Einvernehmen und die Genehmigungsfiktion bei Nichterklärung gewährleisteten eine effektive Verfahrensbearbeitung sowie zeitnahe Erledigung und wirkten sich nicht verfahrensverzögernd aus, geht an der Realität vorbei.

Spätestens dann, wenn das Einvernehmen der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden, das sich als verwaltungsinterner Mitwirkungsakt darstellen und damit die Anrufung des Berufungsausschusses gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses sowohl im Falle des erklärten Einvernehmens als auch im Falle der Versagung des Einvernehmens durch die Landesbehörde ermöglichen soll, unterbleibt, wird es zu erheblichen Verfahrensverzögerungen kommen. Zudem ist der Ausgang der Entscheidung des Zulassungsausschusses wesentlich schlechter prognostizierbar, wenn das Einvernehmen noch in der Sitzung versagt werden kann.

Darüber hinaus konterkariert die geplante Regelungserweiterung in § 96 Abs. 2a SGB V den Grundcharakter der Delegation von Ausführungsaufgaben durch den Gesetzgeber an die Selbstverwaltung. Es ist zu befürchten, dass durch die Beteiligung politisch geleiteter oberster Landesbehörden mit diversen Beratungs- und Mitentscheidungsrechten an konkreten Statusentscheidungen im Zulassungsausschuss eine unnötige Politisierung von Versorgungsentscheidungen droht; ebenso fragwürdig ist – bezogen auf den Zulassungs- und Berufungsausschuss – die Vermischung von eigener Mitwirkung im und Rechtsaufsicht über das Selbstverwaltungsgremium. Dass schließlich die Ministerialbürokratie über besseres Wissen in Versorgungsfragen verfügt als die Selbstverwaltungspartner Ärzte und Krankenkassen, darf bezweifelt werden.

Auch wenn, anders als nach der Formulierung im Koalitionsvertrag zu befürchten war, vielleicht nicht jede Entscheidung des Zulassungsausschusses das Einvernehmen der Gesundheitsministerien der Länder erfordert – der Katalog könnte aber jederzeit erweitert werden –, wird hier den Ländern ein Instrument an die Hand gegeben, das nichts anderes bezweckt, als unliebsame Entscheidungen aus ideologischen Gründen zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern. Es werden weitere Ressourcen gebunden, zumal die Entscheidungen der Gesundheitsministerien mit keinerlei finanzieller Verantwortung verbunden sind, Rechtsunsicherheiten geschaffen und die Bürokratie aufgebläht.  

Dr. Moritz Ulrich
Tel: +49 30 208 88 1445

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 1-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.