Verstoß gegen ärztliche Berufspflichten bei Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Corona-Selbsttest-Zertifikaten

Die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Corona-Selbsttest-Zertifikaten ausschließlich auf der Basis eines Online-Fragebogens stellt einen eklatanten Verstoß gegen ärztliche Berufspflichten dar.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2022 – 3 Bs 78/22 – hat das OVG Hamburg entschieden, dass die Ausstellung von AU-Bescheinigungen und Corona-Selbsttest-Zertifikaten über ein Online-Verfahren ohne Einsatz von Kommunikationsmedien zwischen Arzt und Kunden einen massiven Verstoß gegen ärztliche Berufungspflichten darstellt und die sofortige Vollziehung einer widerrufenen Approbation rechtfertige.

Sacherverhalt

Die 80-jährige Antragstellerin war als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ohne Kassenzulassung bis Dezember 2021 für die Dr. A. GmbH (GmbH) ihres Sohnes tätig, die u. a. telemedizinische Diagnosen entwickelt und vermarktet. Die GmbH ermöglichte seit Dezember 2018 jeder Person, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (im Folgenden: AU-Bescheinigung) ausschließlich auf elektronischem Wege zu erhalten. Hierzu musste die Person auf der Website der GmbH vorab einen Fragenkatalog zum Krankheitsbild beantworten. Das Online-Formular erlaubte eine nachträgliche Anpassung der abgegebenen Antworten mit dem Ziel, eine AU-Bescheinigung zu erteilen. Die online ausgestellten PDF-AU-Bescheinigungen wurden mit einer bereits voreingestellten Faksimile-Unterschrift der Antragstellerin versehen und ohne weitere Prüfung versendet. Begehrte der Kunde neben der PDF-AU-Bescheinigung auch die kostenpflichtige postalische Übersendung einer AU-Bescheinigung, wurde ihm eine von der Antragstellerin unterschriebene AU-Bescheinigung übermittelt.

Des Weiteren bot die GmbH Corona-Selbsttest- Zertifikate an. Für den Erhalt eines Zertifikats per E-Mail genügte die Angabe des Nutzers, dass man sich selbst negativ getestet hat. Eine ärztliche Rücksprache unterblieb. Eigene Räume zur Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit standen der Antragstellerin nicht zur Verfügung. Bis August 2021 wurden seitens der GmbH mindestens 2000 Selbsttest-Zertifikate ausgestellt.

Der Antragstellerin wurde wegen Berufsvergehen (Ausstellung von AU-Bescheinigungen ohne persönlichen Kontakt in drei Fällen) im Oktober 2021 ein Verweis erteilt und eine Geldbuße von 6.000 € auferlegt. Weiterhin wurde ihr durch die Ärztekammer Hamburg im November 2021 untersagt, Corona-Selbsttest-Zertifikate in der vorbezeichneten Weise auszustellen. Mit weiterem Bescheid vom 21. Januar 2022 wurde die Approbation widerrufen und die sofortige Vollziehung angeordnet.

Die Antragstellerin beantragte vor dem Verwaltungsgericht Hamburg (17 E 753/22) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs, die das Gericht mit Beschluss vom 16. Mai 2022 ablehnte. Die Antragstellerin habe sich als berufsunwürdig erwiesen, weil sie über einen Zeitraum von mehreren Jahren in einem vollständig automatisierten Verfahren AU-Bescheinigungen sowie Zertifikate zum Corona- Schnelltest ausgestellt hatte, ohne dass es mit den betreffenden Personen wegen ihrer angegebenen Erkrankungen jemals zu einer Kontaktaufnahme gekommen war. Das Verwaltungsgericht vertrat die Auffassung, dass die Antragstellerin ihre berufsspezifischen Pflichten auch künftig nicht beachten werde. Hiergegen erhob die Antragstellerin Beschwerde.

Entscheidung

Das OVG Hamburg wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück. Zur Begründung führte das Gericht unter Bezugnahme auf § 25 Satz 1 Berufsordnung der Hamburger Ärztinnen und Ärzte (BO) aus, dass die dort geregelte notwendige Sorgfalt bei der Ausstellung ärztlicher Zeugnisse (hierunter fallen die streitgegenständlichen AU-Bescheinigungen und Zertifikate zum Corona-Schnelltest) eine (un-)mittelbare persönliche Untersuchung – also einen direkten Kontakt zwischen Arzt und Patient – erforderlich mache. Hierfür wiederum notwendig sei eine Einrichtung, die es ermögliche, zu jeder Zeit die ärztliche Tätigkeit nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst auszuüben.

Das seitens der GmbH bzw. der Antragstellerin praktizierte Verfahren verstoße dagegen – so das OVG – eklatant gegen die in § 25 Satz 1 BO geregelten Berufspflichten. Die Antragstellerin habe weder die Kontrolle über die in ihrem Namen ausgegebenen elektronischen PDF-AU-Bescheinigungen gehabt, noch seien ihr die Kunden bekannt gewesen, die nur eine PDF-AU-Bescheinigung bestellt hatten. Ebenso wenig habe ein persönlicher Kontakt bestanden, soweit die Antragstellerin die online generierten, mit einer Diagnose versehenen AU-Bescheinigungen handschriftlich unterzeichnete.

Eine Überprüfung der Angaben der Kunden sei ihr zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen. Weiterhin berücksichtigte das OVG zulasten der Antragstellerin, dass das von der GmbH entwickelte System ermögliche, den Sachverhalt zu manipulieren und die individuellen Angaben der Kunden auf dem Online-Formular nachträglich zu verändern. Gleiches gelte in Bezug auf die Corona-Selbsttest-Zertifikate, die die Antragstellerin ohne persönlichen Kontakt ausstellte. Zudem betonte das Gericht unter Verweis auf § 17 BO, dass ein rein „digitaler Praxissitz“ zur Ausübung ärztlicher Tätigkeit – so vertreten von der Antragstellerin – nicht genüge. Die umgehende Unterbindung der Tätigkeit aufgrund der drohenden gravierenden Nachteile wirtschaftlicher Art in Gestalt von unberechtigten Lohnfortzahlungen und der Übertragungsgefahr von COVID-19-Infektionen durch unzutreffende negative Testzertifikate wiege schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

Praxishinweis

Auch wenn die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten bleibt, ist die Argumentation des OVG angesichts der ausgestellten AU-Bescheinigungen und Coronazertifikate allein über ein Online-Formular grundsätzlichen nachvollziehbar. Gleichwohl haben ärztliche Beratungen mit Kommunikationsmitteln in der Corona-Krise stark zugenommen. Allein im ersten Halbjahr 2021 gab es bei Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen mehr als 2,25 Millionen solcher digitalen Kontakte (im Jahr 2019: < 4.000 Video-Sprechstunden). Es gilt deshalb, die Möglichkeiten und Chancen digitaler Entwicklung im Gesundheitsbereich unter Beachtung entsprechender Standards für telemedizinische Verfahren zu nutzen und beständig zu erweitern, deren Vorteile (u. a. Sicherstellung medizinischer Versorgung in strukturschwachen und ländlichen Regionen, Wegfall aufwendiger Transporte für immobile Menschen und Entlastung der Arztpraxen und Minimierung des Ansteckungsrisikos im Wartezimmer, z. B. bei einer COVID-19-Erkrankung) unbestritten sein dürften.

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Autor

Alexander Greiff
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 1-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.