Welche Änderungen strebt die Ampelkoalition an und welche noch nicht?

Ein Ausblick auf die Regulierung von Medizinischen Versorgungszentren

Am Freitag, den 15. Oktober 2021, wurden die Eckpunkte der Sondierungsgespräche von SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die von den Generalsekretären der Parteien in einem zwölfseitigen Papier zusammengetragen wurden, veröffentlicht. Mit Spannung erwartet wurde auch, ob das Papier Aussagen zum Gesundheitssystem im Allgemeinen und zu Änderungen im Bereich der Medizinischen Versorgungzentren (MVZ) im Besonderen enthält, und wenn ja, welche. Um etwaige Aussagen einzuordnen, werfen wir zunächst einen Blick auf die Forderungen der Selbstverwaltung an die Koalitionäre:

Eine Position der Selbstverwaltung

Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) wurde im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen mit der Aussage vernommen, dass für eine Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung bewährte Praxisformen unbedingt zu verteidigen und die Gründungsberechtigung für zahnärztliche MVZ auf räumlichregionale sowie medizinisch-fachliche Bezüge zu beschränken sei. In die gleiche Richtung geht die Forderung der Bundesärztekammer (BÄK). Außerdem sollen nach der BÄK Anträge auf Zulassung sowie auf Anstellung von Ärzten im MVZ versagt werden, wenn der Träger des MVZ dadurch in einer Region eine marktbeherrschende Stellung erlangen würde. Gewinnabführungsverträge mit externen Kapitalgebern seien zu begrenzen, da die Gewinne aus Sozialversicherungsbeiträgen generiert werden; und schließlich wird ein MVZ-Register gefordert, welches mehr Transparenz über die agierenden Finanzinvestoren schaffen soll. Ähnliches hatte der Bundesrat seinerzeit zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vorgeschlagen. Diese Vorschläge wurden von der vergangenen Großen Koalition weitestgehend verworfen.

… und eine Gegenposition

Wenn man dagegen einen Blick auf die Forderungen des Wirtschaftsrates der CDU wirft, die in einem Positions- bzw. Thesenpapier veröffentlich wurden, findet sich die Forderung, die Gründereigenschaft zu (re-)liberalisieren und die Begrenzung von Träger- strukturen aufzulösen, um einen qualitätsorientierten Wettbewerb zu ermöglichen. Auch durch Vertrag zur Leistungserbringung zugelassene Versorger, wie zum Beispiel Physiotherapiepraxen, könnten danach (wieder) MVZ gründen. Der seinerzeitige Entfall des Kriteriums „fachübergreifend“ wird begrüßt. Dazu später mehr.

Einige Kernaussagen des Sondierungspapiers

Neben einigen Kernaussagen etwa zu zukünftigen Leitprinzipien, der Digitalisierung, der Weiterentwicklung des Fallpauschalensystem, der Stärkung der sektorenübergreifenden Kooperation und Vernetzung zwischen den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen, der Stärkung der Pflege und der Absage an eine Bürgerversicherung, blieb das Papier äußerst vage. Inzwischen hat sich der neue Bundestag konstituiert und die Koalitionsverhandlungen sind in vollem Gange. Für die Koalitionsverhandlungen wurden 22 Arbeitsgruppen gebildet. Die Arbeitsgruppe Gesundheit traf sich in der Zeit vom 28. Oktober bis zum 10. November 2021 zu insgesamt neun Sitzungen mit unterschiedlichen Themenfeldern wie Vorsorge, Prävention und Gesundheitsförderung, Digitalisierung, Innovation und Bürokratieabbau oder Lehren aus der Pandemie.

Eine Aussage zu Medizinischen Versorgungszentren

Die aus Sicht von Investoren im ambulanten Sektor wohl wichtigste Sitzung tagte unter der Überschrift „Versorgung“. In nicht mehr als sechs Stunden sollten Themen wie eine „Krankenhausstrukturreform inklusive Fallpauschalen (Investitionskosten, Planung, Weiterentwicklung DRG-System)“, die „sektorenübergreifende Versorgung“, „Telemedizin“, „ambulante Versorgung“ und „Apotheken“ besprochen werden. Bis zum Redaktionsschluss sind keine konkreten Vorschläge bekannt geworden. Allerdings lohnt es sich, einmal eine Interpretation von bisher Bekanntem zu wagen. Zu den MVZ findet sich im Sondierungspapier nur der Stichpunkt „interdisziplinäre MVZ“. Was mag sich dahinter verbergen? Nach einer außer Kraft getretenen Fassung des § 95 SGB V waren MVZ „fachübergreifende, ärztlich geleitete Einrichtungen“. Das Kriterium „fachübergreifend“ sah also vor, dass im MVZ Ärzte unterschiedlicher Facharztgruppen tätig sein mussten. Dieses Kriterium wurde bereits durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vor Jahren abgeschafft. Gleichzeitig wird die Entwicklung im Bereich der MVZ zunehmend kritisiert, was auch auf den Entfall dieses Kriteriums zurückgeführt wird. Da MVZ zwar nur fachgleiche Ärzte beschäftigen dürfen, aber nicht müssen, und fachübergreifende MVZ somit zulässig sind, stellt sich die Frage, ob das Kriterium „fachübergreifend“ wieder eingeführt werden soll.

Ein Beschluss

Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) hat mit Beschluss vom 5. November 2021 beschlossen, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erneut zu bitten, eine Gesetzesinitiative zu veranlassen, die die Regulierung von MVZ betrifft. Gefordert wird insbesondere

  • eine Beschränkung der Zulassungen von medizinischen Versorgungszentren auf den jeweiligen KV-Bezirk, in dem der Träger seinen Sitz hat, oder einen benachbarten KV-Bezirk und
  • eine Beschränkung des Versorgungsanteils von medizinischen Versorgungszentren in der fachärztlichen Versorgung auf 25 Prozent der Ärzte in der Facharztgruppe.
  • Die zuständigen Zulassungsausschüsse sollen im Einzelfall aus Gründen der vertragsärztlichen Versorgung ausnahmsweise Zulassungsanträgen und Anstellungsgenehmigungen stattgeben können.

Darüber hinaus will die GMK die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Erarbeitung weiterer Regulierungen bis spätestens Juli 2022, wobei die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter berücksichtigt werden sollen. Ziel soll die Begrenzung monopolartiger Strukturen sein.

Bereits 2020 wollte die GMK eine sog. „Schilderpflicht“ einführen, um Investoren-MVZ kenntlich zu machen, und forderte die räumliche und fachliche Eingrenzung der Gründungsberechtigung für Krankenhäuser und die Einschränkung des Versorgungsauftrags für MVZ auf 25 % der Ärzte einer Fachgruppe innerhalb eines KV-Bezirks. Diese, ähnliche bzw. darüber hinausgehende Forderungen fanden sich auf Initiative des Bundesrates bereits in den Entwürfen des TSVG, wurden dann aber mit der seinerzeitigen Mehrheit der Großen Koalition im Bundestag abgelehnt. Gerade im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der erwogenen Begrenzungen im ambulanten Sektor gibt es gewichtige Stimmen (z. B. Prof. Wenner, Vorsitzender Richter des 6. Senats am Bundessozialgericht, der für das Vertragsarztrecht zuständig ist), die eine Regulierung kritisch sehen.

Zum zeitlichen Umsetzungshorizont ist festzustellen, dass es sich zunächst um eine Aufforderung an das BMG handelt, einen Referentenentwurf vorzulegen. Verglichen mit dem Gesetzgebungsprozess zum TSVG sind ab dem Vorliegen des Referentenentwurfs (24. Juli 2018) bis zum Inkrafttreten am 11. Mai 2019 rund zehn Monate vergangen. Wenn das BMG der Bitte entspricht, würde ich mit einer Umsetzung somit nicht vor Ende des nächsten Jahres rechnen.

Ein Vergleich

Blickt man einmal in den Koalitionsvertrag aus Rheinland-Pfalz, der ebenfalls den Ampel-Parteien entsprungen ist, ist ebenfalls nicht zu vermuten, dass den genannten Forderungen (noch) entsprochen wird. Dort wurde vereinbart, dass die Beratung für Kommunen, die MVZ gründen wollen, verbessert werden soll, die Gründung von vertragsärztlichen Praxiskliniken wird befürwortet. Betreffend die Regulierung von MVZ findet sich dort kein Anhaltspunkt, was aufgrund der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen allerdings auch nicht verwunderlich ist. Im Hinblick auf die einzig in § 122 SGB V genannten „Praxiskliniken“ ist schon bisher unklar, was sich der Gesetzgeber eigentlich darunter vorstellt. Immerhin haben die Koalitionspartner in Rheinland-Pfalz den Begriff „Praxiskliniken“ ungeachtet ihrer kompetenziellen Unzuständigkeit insoweit konturiert, indem von „vertragsärztlichen Praxiskliniken“ gesprochen wird, die auch „teil- und kurzzeitstationäre Angebote“ erbringen dürfen. Zusammengenommen klingen die Vorschläger eher nach einer Ergänzung der Leistungserbringer und Versorgungsformen.

Eine Einschätzung

Die Forderungen der GMK bleiben hinter den seinerzeitigen Regulierungsvorschlägen der GMK 2020 und des Bundesrates 2018 (z. B. räumliche und fachliche Eingrenzung des Gründers statt allein räumlicher Eingrenzung des Trägers) zurück. Dass sich die Forderungen im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens noch einmal verschärfen, kann nicht ausgeschlossen werden. Die bekannten Positionen von GMK und Selbstverwaltung wurden durch die Koalitionspartner bislang nicht aufgenommen.

Gemessen an den dargestellten Forderungen der GMK, Selbstverwaltung und vorhandenen weiteren Positionen sowie dem Vergleich mit dem Koalitionsvertrag aus Rheinland-Pfalz dürfte sich die die Ampel-Koalition, was die Regulierung von MVZ betrifft, auf einer Kompromisslinie bewegen, die große Änderungen nicht erwarten lässt. Die Wiedereinführung des Kriteriums „fachübergreifend“ dürfte ebenfalls nicht zu erwarten sein, zumal nicht erkennbar ist, was dadurch in der Sache gewonnen würde.

Betreffend einen räumlichen und fachlichen Bezug ist festzustellen, dass Patientenströme gerade nicht vor Ländergrenzen zurückschrecken. Eine räumliche Begrenzung des Versorgungsauftrags steht der Behandlungskontinuität entgegen. Gegen die Normierung eine Fachbezugs bestehen ebenfalls erhebliche Bedenken. Krankenhausplanerische Fachgebietsausweisungen können, aber müssen nicht den bedarfsplanerischen Fachgebieten entsprechen. Am deutlichsten zeigt sich dies im Gebiet der Zahnheilkunde, für das es eine stationäre Bedarfsausweisung nicht gibt – den beplanten sachnahen Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie einmal außen vor gelassen. Im Übrigen dürfte ein räumlicher und fachlicher Bezug einer gesamtheitlichen Behandlung des Patienten nicht gerecht werden. Dessen Behandlungsbedarf richtet sich nicht nach (bedarfs-)planerischen Fachgebietsgrenzen.

Der ambulante Sektor ist in Deutschland stark fragmentiert. Ob im Hinblick auf die Unterbindung der marktbeherrschenden Stellungen einzelner Träger Handlungsbedarf besteht, ist zweifelhaft. Die Vorteile von MVZ und die Einflüsse, denen der ambulante Sektor im Hinblick auf Arbeitsbedingungen, Nachwuchsgewinnung, Verwaltungsaufwand und nicht zuletzt auch Kapitalbedarf unterworfen ist, werden ohnehin ausgeblendet. Schließlich werden sachfremde Einflüsse auf die ärztliche Entscheidungsfindung auch jetzt schon durch vertragsarztrechtliche und vor allem berufsrechtliche Normen der Länder bzw. landesrechtlich verfassten Ärztekammern stark begrenzt. Nicht zuletzt bestehen erhebliche Zweifel, ob die Regulierung von sog. Investoren-MVZ, zudem unabhängig von einer Regulierung des stationären Sektors, noch verfassungskonform wäre.

Eine Empfehlung

Insgesamt stellt sich die Frage, ob nicht gerade Krankenhaus-MVZ ein gelungenes Beispiel für eine sektorenübergreifende Versorgung sind, die auch nach dem Sondierungspapier zu fördern ist. Für manche Krankenhäuser ist die Funktion, auch ein Trägervehikel zu sein, eine Lebensversicherung. Wenn der Gesetzgeber, wie angekündigt, Lehren aus der Pandemie ziehen will, sollte er auch das bisherige Mantra der Entbehrlichkeit einer Vielzahl von Krankenhäusern überdenken.

Wollen sich Investoren an einem MVZ in Trägerschaft einer GmbH beteiligen, benötigen sie ein Plankrankenhaus. Allein dieser Umstand stellt eine hohe Eintrittsbarriere da. Neben all den möglichen Änderungen betreffend die Gründereigenschaften und Trägerstrukturen muss daher auch beachtet werden, inwiefern sich Änderungen im Bereich der Krankenhausplanung ergeben, wobei diese zunächst einmal Ländersache ist.

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Autor

Dr. Moritz Ulrich
Tel: +49 30 208 88 1445

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 4-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.