Zinssatz von 0,5 % pro Monat für Steuernachforderungen/-erstattungen ist verfassungswidrig

Wie bereits aus den Medien bekannt und aus unserer ausführlichen Mandanteninformation ersichtlich, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 8. Juli 2021, veröffentlicht am 18. August 2021, entschieden, dass ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat für Steuernachforderungen/-erstattungen nicht mit dem Grundrecht auf Gleichbehandlung gemäß Artikel 3 Absatz 1 GG vereinbar ist. Das BVerfG begründet seine Entscheidung damit, dass Steuerpflichtige, deren Steuer erst später festgesetzt wird, gegenüber anderen Steuerpflichtigen benachteiligt werden.

Hintergrund

Gemäß § 233a AO unterliegen Steuernachforderungen/-erstattungen der Vollverzinsung. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Die Zinsen betragen gemäß § 238 AO 0,5 Prozent pro Monat. Das führt zu einer jährlichen Verzinsung von 6 Prozent. Der gesetzgeberische Gedanke der Verzinsung ist, dass Steuerpflichtige, die ihre Steuern erst Jahre später zahlen müssen, gegenüber anderen im Vorteil sind, da sie mit den vorerst nicht gezahlten Steuern wirtschaften können. Bereits im Jahr 2018 wurden allerdings vermehrt Einsprüche gegen die Zinshöhe eingelegt und auch der Bundesfinanzhof (BFH) deutete Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit an. Begründet wurden die Zweifel mit dem anhaltenden Niedrigzinsniveau.

Das BVerfG entscheidet: Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe ab dem Jahr 2014

Für die vorangegangenen Jahre sieht das BVerfG die Ungleichbehandlung dagegen noch als verfassungsgemäß an. Ferner werden die Regelung der Vollverzinsung als solche sowie deren Anknüpfung an einen starren und realitätsgerechten Zinssatz durch das BVerfG nicht als verfassungswidrig angesehen. Die Verzinsung muss – jedenfalls ab dem Jahr 2014 – allerdings mit einem niedrigeren Zinssatz erfolgen. Die Entscheidung des BVerfG führt damit nicht zu einer Nichtigkeit der Regelung. Aus Gründen einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung soll die bisherige Regelung für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 fortbestehen. Der Gesetzgeber wird somit verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab 2019 zu treffen.

Die Entscheidung des BVerfG bezieht sich auf Nachzahlungszinsen des Steuerpflichtigen und auf Erstattungszinsen des Finanzamtes. Demgegenüber sind Stundungs-, Hinterziehungs- Prozess,- und Aussetzungszinsen nicht von der Verfassungswidrigkeit erfasst, da der Steuerpflichtige es hier selbst beeinflussen könne, ob er den Steuerbescheid verspätet zahlt und somit Zinsen fällig werden.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun für die Besteuerungspraxis?

Zwischenzeitlich hat die Finanzverwaltung durch eine Verwaltungsanweisung (BMF-Schreiben vom 17.09.2021) reagiert und für die Finanzämter festgelegt, wie bis zu einer Neuregelung der Verzinsung vorzugehen ist.

  • Zinsen für Zeiträume bis zum 31.12.2018 werden endgültig festgesetzt, da das BVerfG bis zu diesem Zeitpunkt die Anwendung der bisherigen Vorschriften ausdrücklich erlaubt hat.
  • Unanfechtbare Zinsfestsetzungen für Zeiträume nach dem 31.12.2018 bleiben als bestandskräftige Verwaltungsakte trotz des Urteils des BVerfG bestehen (entsprechend § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Allerdings können solche Zinsfestsetzungen nicht mehr vollstreckt werden. Hat ein Steuerpflichtiger auf eine solche Zinswertfestsetzung hin nicht gezahlt, darf das Finanzamt diese Zinsen nicht zwangsweise durchsetzen.
  • Neue Festsetzungen von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen für Zeiträume ab dem 01.01.2019 werden vorerst nicht vorgenommen. Die Finanzämter werden diese Zinsfestsetzungen bis zur Neuregelung der Verzinsung offenhalten.
  • Ebenso werden die Finanzämter mit noch nicht unanfechtbar erfolgten Zinsfestsetzungen für Zeiträume ab dem 01.01.2019 verfahren. Technisch wird dies durch eine Aussetzung des Verfahrens nach den §§ 165, 239 AO erfolgen. Die Steuerbescheide werden jeweils entsprechende Erläuterungstexte enthalten.
  • Bei allen Steuerbescheiden, die noch eine Festsetzung von Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab dem 01.01.2019 enthalten, ist darauf zu achten, dass Einspruch gegen die Zinsfestsetzung eingelegt wird.
  • Bei Steuerbescheiden, aus denen sich Erstattungszinsen für Zeiträume ab dem 01.01.2019 ergeben, ist darauf zu achten, dass die erforderliche Aussetzung des Verfahrens nach den §§ 165, 239 AO enthalten ist. Sollte sie fehlen, ist Einspruch einzulegen.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.