Inhouse-Voraussetzungen müssen auch nach einer Umstrukturierung vorliegen

Die vergaberechtlichen Konsequenzen einer Änderung der Gesellschafterstruktur sollten bedacht werden: Die Inhouse-Voraussetzungen müssen auch nach einer Umstrukturierung vorliegen!

Entscheidung des EuGH vom 12. Mai 2022 zu Inhouse-Voraussetzungen

Der EuGH stellte am 12. Mai 2022 fest, dass die RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe dahingehend auszulegen ist, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der die Ausführung eines öffentlichen Auftrags, der ursprünglich ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergeben wurde, automatisch von dem Wirtschaftsteilnehmer fortgesetzt wird, der diese Einrichtung nach einer Ausschreibung übernommen hat, wenn der öffentliche Auftraggeber über diesen Wirtschaftsteilnehmer keine Kontrolle ausübt und auch nicht daran beteiligt ist.

Was muss man wissen?

  • Das Urteil fordert – anknüpfend an § 108 GWB – über den gesamten Zeitraum des Vertrages das Vorliegen der Voraussetzungen der Inhouse- Vergabe.
  • § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 b GWB ist bei Unternehmensumstrukturierungen nicht anwendbar.
  • Der erfolgreiche Bieter darf nicht durch einen anderen Wirtschaftsteilnehmer ersetzt werden, ohne dass der Auftrag erneut ausgeschrieben wird.
  • Durch die Übertragung von Anteilen einer Inhouse- Einrichtung könnte die Zulässigkeit einer früheren rechtmäßigen Vergabe entfallen.

Sachverhalt

Jahr 2005 übertrug eine italienische Gemeinde (Comune di Lerici) die kommunale Abfallbewirtschaftung bis Ende des Jahres 2018 an eine Tochtergesellschaft der Aktiengesellschaft ACAM. Anteilseigner war die Comune di Lerici sowie weitere Gemeinden. Andere Beteiligte gab es nicht. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten war die ACAM 2013 gezwungen, Umstrukturierungen vorzunehmen. Nach Durchführung einer öffentliche Ausschreibung entschied sich ACAM für eine Umstrukturierung mit der IREN, einer börsennotierten Gesellschaft unter staatlicher Kontrolle. Die meisten Gemeinden übertrugen 2017 ihre Anteile von der ACAM auf IREN und erhielten im Gegenzug Anteile an der IREN in entsprechender Höhe. Die Comune di Lerici erklärte, die zwischen ACAM und IREN vereinbarte Umstrukturierungsvereinbarung nicht zu genehmigen, und beschloss die Investitionsvereinbarung nur in Bezug auf die Übertragung ihrer eigenen Anteile an ACAM auf IREN anzunehmen, und übertrugt ihre Anteile im April 2018 auf IREN. Die Gemeinde übernahm jedoch keine Anteile an IREN. Die zwischenzeitlich für die Abfallbewirtschaftung zuständige Provinz La Spezia genehmigte die Abfallentsorgung in der Gemeinde bis Ende 2028, ohne ein Vergabeverfahren durchzuführen. Die Gemeinde war der Ansicht, dass wegen ihrer fehlenden Kapitalbeteiligung an IREN keine Inhouse-Vergabe zugunsten von ACAM möglich sei und erhob Klage.

Begründung

Der EuGH geht zunächst davon aus, dass es sich bei der ursprünglichen Vereinbarung zwischen der Comune di Lerici und der ACAM bis zum Jahr 2018 um eine Inhouse-Vergabe gehandelt habe, weil die Comune di Lerici gemeinsam mit den anderen an ACAM beteiligten Gemeinden eine ähnliche Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausgeübt habe. Der Erwerb dieser Gesellschaft durch einen anderen Wirtschaftsteilnehmer (hier IREN) innerhalb der Gültigkeitsdauer dieses Auftrags kann aber eine grundlegende Änderung dieses Auftrags bedeuten.

Eine vergabefreie Auftragsänderung nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) GWB wegen der Übernahme des ursprünglichen Auftragnehmers (ACAM) durch den neuen Auftragnehmer (IREN) scheidet aus. Insoweit sieht erstens Art. 72 I Buchst. d Nr. ii RL 2014/24 vor, dass ein öffentlicher Auftrag ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden kann, wenn der ursprüngliche Auftragnehmer durch einen neuen Auftragnehmer ersetzt wird, soweit der Erwerber die ursprünglich festgelegten qualitativen Eignungskriterien erfüllt und unter der Bedingung, dass dies keine weiteren wesentlichen Änderungen des Auftrags zur Folge hat und nicht dazu dient, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen. Eine Änderung des Auftrags wird als wesentlich angesehen, wenn mit ihr Bedingungen eingeführt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer als der ursprünglich ausgewählten ermöglicht oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten. Der ursprüngliche Auftrag wurde ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergeben. Sicher hätten andere Firmen Interesse an diesem Auftrag gehabt.

Eine Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 4 GWB (entspricht Art. 12 Abs. 3 der RL) kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass eine Kontrolle über die fragliche Einrichtung (IREN) stattfindet und einen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Ziele der Einrichtung ausüben könnte. Die Comune di Lerici besaß aber zum Zeitpunkt der Entscheidung keinerlei Anteile an der IREN und konnte daher keinerlei Einfluss auf deren Handeln nehmen.

Wertung und Praxisfolgen

Während der Vertragslaufzeit können sich die Verhältnisse ändern. Mit der Auslegung zum vergabefreien Auftragnehmerwechsel während der Vertragslaufzeit gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) GWB war nicht zu rechnen. Nach § 132 GWB sind vergaberechtlich „unschädliche“ unwesentliche Auftragsänderungen von solchen zu unterscheiden, welche ein neues Vergabeverfahren verlangen. Vor diesem Hintergrund soll „der erfolgreiche Bieter […] nicht durch einen anderen Wirtschaftsteilnehmer ersetzt werden, ohne dass der Auftrag erneut ausgeschrieben wird“. Art. 72 RL 2014/24/EU gibt nicht klar zu erkennen, ob der Vertragsabschluss das Ergebnis eines vorangegangenen förmlichen Vergabeverfahrens gewesen sein muss oder nicht. Man hätte auch argumentieren können, dass kein neues Vergabeverfahren nötig sei, weil bereits kein altes Vergabeverfahren erforderlich war. Der vorliegende Fall ist sicher kein klassischer Umgehungsfall, da die Umstrukturierung aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten von ACAM nötig war. Zudem wurde die Kooperation mit IREN aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt und folgte den geforderten Grundsätzen des Wettbewerbs.

Dies führt nun dazu, dass eine Änderung der Gesellschafteranteile auf vergaberechtliche Konsequenzen geprüft werden muss.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.