Bundesgerichtshof zu Fragen der Akteneinsicht in Konzessionsverfahren

Der BGH hat mit Urteil vom 7. September 2021 (Az EnZR 29/20) die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11. März 2020 aufgehoben.

Über dieses Urteil des OLG Düsseldorf hatten wir im Public Sector Newsletter 2/2020 (vgl. www.mazars.de) berichtet.

Die ausführlichen Leitsätze des BGH lauten:

  1. Die eine Konzession vergebende Gemeinde war schon vor Inkrafttreten des § 47 EnWG verpflichtet, den unterlegenen Bietern Auskunft darüber zu erteilen, aus welchen Gründen sie den Zuschlag einem anderen Bieter erteilen wollte. Dazu ist grundsätzlich die umfassende Unterrichtung über das Ausschreibungsergebnis durch Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerks erforderlich, aber auch ausreichend. Eine Ausnahme wird etwa dann in Betracht gezogen werden können, wenn der unterlegene Bieter bereits auf andere Weise alle für die wirksame Wahrung seiner Rechte erforderlichen Informationen erhalten hat oder mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Durchsetzung seiner Rechte durch die Kenntnis des vollständigen Auswertungsvermerks erleichtert wird.
  2. Soweit die Gemeinde in dem Auswertungsvermerk Schwärzungen vornehmen will, hat sie deren Notwendigkeit zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jeweils für die konkrete Angabe substantiiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen.
  3. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich im Auswertungsvermerk enthaltener Angaben wird nur zurückhaltend anerkannt werden können und insbesondere für die Gemeinde selbst oder den erfolgreichen Bieter nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der nach dem Vergabeverfahren erfolgreiche Bieter mittelbar oder unmittelbar, ganz oder teilweise im Eigentum der als Vergabestelle handelnden Gemeinde steht.
  4. Hat sich der unterlegene Bieter zwar soweit möglich, aber erfolglos um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Konzessionsvergabe bemüht, ist er nicht verpflichtet, die Nichtigkeit des daraufhin mit einem anderen Bieter abgeschlossenen Vertrags alsbald klageweise geltend zu machen; vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung.

Wir haben mehrfach darüber berichtet (z. B. im Newsletter 3/2020; vgl. www.mazars.de), dass die OLG-Rechtsprechung zur Reichweite der Akteneinsicht des unterlegenen Bieters sehr uneinheitlich ist. So haben es mehrere OLG für ausreichend gehalten, dass einem solchen Bieter keine Einsicht in das Angebot des obsiegenden Bieters zu gewähren ist, wenn eine weitgehend ungeschwärzte und ausführliche „Auswertung der verbindlichen Angebote“ durch die Vergabestelle im Verfahren offengelegt wurde (so z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. März 2020 – 2 U 1/18 (Kart); OLG Dresden, Urt. v. 10. Januar 2018, U 4/17 Kart; so im Ergebnis ähnlich: OLG Brandenburg, Urt. v. 22. August 2017 – 6 U 1/17 Kart; OLG Celle, Urt. v. 17. März 2016 – 13 U 1/15 (Kart) und wohl auch BGH, Urt. v. 28. Januar 2020 – EnZR 116/18). Andere Oberlandesgerichte (z. B. OLG Dresden, Urt. v. 18. September 2019, U 1/19 Kart.; Kammergericht Berlin, Urt. v. 24. September 2020, Az. 2 U 93/19 EnWG) haben im konkreten Fall die Übersendung eines ungeschwärzten Auswahlvermerkes nicht ausreichen lassen.

Der BGH hat nun in die Richtung der Oberlandesgerichte entschieden, die eine Einsicht in den Auswertungsvermerk für ausreichend erachten, allerdings muss der Auswertungsvermerk grundsätzlich ungeschwärzt bereitgestellt werden. Die konkrete Entscheidung hat der BGH zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen. Dieses muss nunmehr, ob in dem konkreten Fall im Auswertungsvermerk berechtigte Schwärzungen verbleiben dürfen oder nicht.

In einem weiteren Punkt wendet sich der BGH gegen das OLG Düsseldorf. Der BGH sieht die Klägerin nicht darin gehindert, sich auch spät im Konzessionsverfahren auf die Nichtigkeit des Konzessionsvertrags zu berufen. Die vergaberechtliche Präklusionsvorschrift des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB kann dem BGH zufolge nicht isoliert bei der Konzessionsvergabe entsprechend herangezogen werden (BGHZ 199, 289 Rn. 111 bis 113 – Stromnetz Berkenthin; BGH, Beschl. v. 3. Juni 2014 – EnVR 10/13, WuW/E DE-R 4322 Rn. 61 – Stromnetz Homberg; BGH, Urt. v. 18. November 2014 – EnZR 33/13, EnWZ 2015, 125 52 Mazars Newsletter Public Sector Rn. 24 – Stromnetz Schierke). Ein Einwendungsausschluss zulasten der Klägerin hat der BGH im vorliegenden Fall auch nicht unter dem Aspekt unzulässiger Rechtsausübung wegen Verletzung vorvertraglicher Rügepflichten gesehen.

Für Unterstützung und zu Fragen im Energierecht stehen wir gern zur Verfügung.

Autor

Dr. Hans-Martin Dittmann
Tel: +49 30 208 88 1014

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 1-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.