Digitale Gesundheitsplattformen – Apothekenmarkt im Wandel

Digitale Gesundheitsplattformen nehmen zunehmend eine größere Rolle im Gesundheitssystem ein. Die ursprünglich von den im europäischen Ausland ansässigen Online-Versandapotheken vorangetriebene Idee der Vernetzung mit stationären Apotheken über eine digitale Gesundheitsplattform wird zunehmend interessanter für Pharmagroßhändler und Investoren.

Welche Chancen bieten digitale Gesundheitsplattformen für Plattformbetreiber und die Vor-Ort-Apotheken?

Gesundheitsplattformen wie DocMorris Express, gesund.de oder auch IhreApotheken.de schaffen mit ihren digitalen Angeboten und bestehenden Kooperationsmodellen mit Vor-Ort-Apotheken Synergieeffekte, die Vorzüge von digitalen Services und Beratung und Verkauf durch die Apotheke vor Ort vereinen. Den über einen Partnervertrag mit den Plattformen kooperierenden Partner-Apotheken wird über die Bestellplattform ermöglicht, einem breiten Publikum ihre Produkte und Leistungen anzubieten. Die Kunden können die Arzneimittel oder apothekenüblichen Waren (vor-)bestellen und per Botendienst oder Versand liefern lassen. Ebenso besteht weiterhin die Möglichkeit, sie in der Apotheke vor Ort abzuholen. Darüber hinaus ist die Kontaktaufnahme mit Apotheken (z. B. über einen Apotheken-Chat) und die Bewertung von Apotheken auf vielen Gesundheitsplattformen möglich. Neben der Bereitstellung eines Marktplatzes bieten viele Gesundheitsplattformen weitere Services, wie z. B. die Einlösung von E-Rezepten, die Vernetzung der Kunden mit Ärzten über die Arztsuche und das Angebot von telemedizinischen Sprechstunden sowie digitales Medikationsmanagement, an.

Welche regulatorischen Hürden bestehen für die betroffenen Akteure in dem hochregulierten Markt?

Die Plattformbetreiber und teilnehmenden Partner- Apotheken müssen ihre Kooperation entsprechend den apothekenrechtlichen Vorschriften rechtskonform gestalten. In diesem Zusammenhang wird der durch das Digitale-Versorgung-und-Pflege- Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) zuletzt geänderte § 11 Abs. 1 und 1a ApoG als Ausdruck des Makelverbotes für die rechtssichere Gestaltung von Kooperationen relevant.

§ 11 ApoG

(1) Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken dürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Dies gilt auch für Rechtsgeschäfte oder Absprachen, die die Zuweisung von Verschreibungen in elektronischer Form oder von elektronischen Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form zum Gegenstand haben. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Apotheken, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegen, sowie deren Inhaber, Leiter oder Personal, soweit diese Apotheken Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln versorgen.

(1a) Es ist für die in Absatz 1 Satz 1 genannten Dritten unzulässig, Verschreibungen, auch Verschreibungen in elektronischer Form oder elektronische Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form, zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten und dafür für sich oder andere einen Vorteil zu fordern, sich einen Vorteil versprechen zu lassen, anzunehmen oder zu gewähren.

Nach § 11 Abs. 1 ApoG dürfen Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, welche die Zuweisung von Verschreibungen (Papier- oder E-Rezepte) oder E-Rezept-Token als sog. „Schlüssel zur Verordnung“ zum Gegenstand haben. Spiegelbildlich ist es den sog. Dritten nach § 11 Abs. 1a ApoG untersagt, Verschreibungen (Papier- oder E-Rezepte) oder E-Rezept-Token gegen Entgelt an Apotheken weiterzuleiten bzw. zu vermitteln. Damit zielt die gesetzliche Regelung bei erster Betrachtung auf die Serviceleistung der „Weiterleitung von Verordnungen“ der Plattformbetreiber an die Partner-Apotheken ab. Nach der bisherigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wurde eine Zuweisung von Verschreibungen i. S. v. § 11 ApoG angenommen, wenn Verschreibungen unter Ausschluss anderer Apotheken „unmittelbar“ an einzelne Apotheken oder an mehrere Apotheken anteilsmäßig oder im Wechsel weitergeleitet werden (vgl. u. a. OVG Münster, Urteil vom 2. September 1999 – 13 A 3323/97). Dabei soll nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster aus dem Jahr 1999 eine Verschreibung als „unmittelbar“ weitergeleitet gelten, wenn die Verschreibung dem Patienten nicht ausgehändigt und damit sein Recht auf freie Apothekenwahl eingeschränkt wird (vgl. OVG Münster, Urteil vom 2. September 1999 – 13 A 3323/97). Nach Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe aus dem Jahr 2013 soll dies selbst im Fall der Weiterleitung der Verschreibung auf Veranlassung des Patienten gelten (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juni 2013 – 4 U 254/12).

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Änderung der Rechtsprechung als Reaktion auf den digitalen Fortschritt?

Fraglich ist, ob die bisherigen Ausführungen der Gerichte noch vor dem Hintergrund eines vollständig digitalen Umfelds zu rechtfertigen sind. Hieran bestehen erhebliche Zweifel im Hinblick auf Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in einem Nichtannahmebeschuss anlässlich der Verfassungsbeschwerde des Dienstleisters meinRezept.online, welcher die digitale Weiterleitung von Arzneimittelrezepten zwischen Arzt und Apotheke logistisch auf seiner Plattform ermöglicht und sein Geschäftsmodell durch die Einführung des § 11 Abs. 1a ApoG bedroht sah. Das Bundesverfassungsgericht weist im genannten Nichtannahmebeschluss darauf hin, dass in der Fachliteratur der Wortlaut des § 11 ApoG als zu weit kritisiert und eine einschränkende Auslegung gefordert werde. Das Makelverbot sei einschränkend so auszulegen, dass z. B. ein Vermitteln oder Weiterleiten einer Verschreibung zulässig sei, wenn das freie Apothekenwahlrecht gewahrt bliebe, d. h., der Patient uneingeschränkt und unbeeinflusst wählen kann, bei welcher Apotheke er die Verschreibung einlösen möchte. Dasselbe solle gelten, wenn der Patient den Dritten beauftragt, die Verschreibung an eine von ihm gewählte Apotheke zu vermitteln bzw. weiterzuleiten. Ferner sei nach Auffassung des Gerichts die Auslegung der angegriffenen Regelungen in § 11 ApoG und deren Anwendung auf die angebotenen Leistungen von meinRezept.online ungeklärt und bislang noch keine fachgerichtliche Entscheidung zu den Regelungen ergangen. Die angegriffenen Verbote sollen nach ihrem Wortlaut sogar tradierte Logistikmodelle wie den postalischen Apothekenversandhandel erfassen und eventuell über den gesetzgeberischen Willen hinausgehend gefasst sein (vgl. meinRezept.online – BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss v. 12. November 2020 – 1 BvR 2424/20, Braun, PharmR 2020, 315 [319 f.]). Schließlich nimmt das Gericht Bezug auf die Gesetzesbegründung zum Patientendaten-Schutz-Gesetz, wonach innerhalb der geplanten Telematikinfrastruktur auch „unter Geltung des Makelverbotes nach § 11 des Apothekengesetzes […] die Möglichkeit Dritter gewahrt bliebe, unter Nutzung der Schnittstelle Mehrwertangebote anzubieten, die nicht die unzulässige Beeinflussung der freien Apothekenwahl durch Gewährung oder Versprechen eines wirtschaftlichen Vorteils im Sinne der apothekenrechtlichen Bestimmungen zum Gegenstand haben“ (vgl. auch BT-Drs. 19/18793, S. 129).

Bemerkenswert an den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist, dass es erkennbar die frühere Rechtsprechung zu der im Wesentlichen in der analogen Welt zwischen Arztpraxen und Apotheken erfolgten Verstöße gegen das Makelverbot in § 11 ApoG als nicht übertragbar auf die Geschäftsmodelle von Online-Plattformen ansieht und digitale Mehrwertangebote als vom gesetzgeberischen Willen aktueller Gesetzgebung gedeckt sieht. Schließlich ist nach den Ausführungen des Gerichts die Gewährleistung des Rechts der Kunden auf freie Apothekenwahl für die Gestaltung von Kooperationen zwischen Plattformbetreibern und Partner-Apotheken zentral.

Welche berufsrechtlichen Vorschriften sind bei der Einbindung von Ärzten über telemedizinische Angebote auf der Plattform zu beachten?

Aus § 31 Abs. 1 und 2 MBO-Ä folgen für die kooperierenden Ärzte berufsrechtliche Einschränkungen hinsichtlich der Zuweisung von Patienten.

Nach § 31 Abs. 1 MBO-Ä ist es Ärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. Aus § 31 Abs. 2 MBO-Ä folgt das sog. Empfehlungsverbot an Apotheken oder sonstige Anbieter gesundheitlicher Leistungen.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 4-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.