„Wirksamkeit“ und „Unwirksamkeit“ des Berliner Mietspiegels

03.06.2019 – LG Berlin, Urteil vom 26.3.2019 – 63 S 230/16

In den vergangenen Wochen überschlugen sich die Pressemeldungen zur angeblichen „Unwirksamkeit“ des Berliner Mietspiegels (2015) aufgrund eines Urteils der 63. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 26.3.2019 (Az. 63 S 230/16). Tatsächlich ist das Urteil und die darin vertretene Auffassung der 63. Zivilkammer aber keinesfalls repräsentativ für das Landgericht Berlin. So hat insbesondere die 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin mit Urteil vom 11.4.2019 (Az. 67 S 21/19) erneut ihre Auffassung bekräftigt, dass der Berliner Mietspiegel (dort der Mietspiegel 2017) jedenfalls als einfacher Mietspiegel eine taugliche Schätzgrundlage für die Ermittlung der örtlichen Vergleichsmiete ist. Die 67. Zivilkammer hat dabei die neueste Rechtsprechung des BGH im Rücken.

THEMATIK

Die 63. Zivilkammer des Landgerichts Berlin hatte in dem für mediales Aufsehen sorgenden Urteil darüber zu entscheiden, ob der klagende Vermieter die Zustimmung des Mieters zur verlangten Mieterhöhung fordern konnte. Im Prozess stritten die Parteien über die Frage der sogenannten Wirksamkeit bzw. – rechtlich präziser – Maßgeblichkeit des Berliner Mietspiegels 2015 für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete der Wohnung. Gemäß § 558d BGB kommt einem nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellten sogenannten qualifizierten Mietspiegel eine in der Praxis kaum zu widerlegende Richtigkeitsvermutung zu. Die sich aus einem solchen Mietspiegel ergebenden Beträge gelten quasi kraft Gesetzes als die ortsübliche Vergleichsmiete, ohne dass dem Vermieter in der gerichtlichen Praxis eine reale Chance bleibt, durch Sachverständigengutachten o. Ä. nachzuweisen, dass die ortsübliche Vergleichsmiete tatsächlich über den im Mietspiegel ausgewiesenen Beträgen liegt.

ENTSCHEIDUNG

Die 63. Zivilkammer des Landgerichts Berlin gab dem Vermieter Recht und verpflichtete den Mieter zur Zustimmung zu einer durch Sachverständigengutachten ermittelten ortsüblichen Miete, die oberhalb der im Mietspiegel ausgewiesenen Werte lag. Überraschend war die Argumentation, mit welcher die 63. Zivilkammer die Ermittlung der Vergleichsmiete durch Sachverständigengutachten begründete. Die 63. Zivilkammer kam insoweit zu dem Ergebnis, dass der Mietspiegel 2015 nicht nur den an einen sogenannten qualifizierten Mietspiegel zu stellenden wissenschaftlichen Anforderungen nicht entsprach, sondern nicht einmal als Grundlage für eine richterliche Schätzung der Vergleichsmiete tauge.

Gerichte haben im Zivilprozess die Möglichkeit, Beträge nach freier richterlicher Überzeugung zu schätzen, wenn der Aufwand für deren Ermittlung durch Sachverständigengutachten oder anderweitige Beweiserhebung in keinem Verhältnis zu den in Rede stehenden Beträgen steht. Die 64., 65. und 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin hatten insoweit die Frage der „Wirksamkeit“ bzw. „Qualifiziertheit“ des Berliner Mietspiegels zuletzt „umschifft“, indem sie urteilten, dass auch ein wissenschaftlichen Grundsätzen nicht in jeder Hinsicht entsprechender „einfacher“ Mietspiegel, dem die besondere gesetzliche Vermutungswirkung „qualifizierter“ Mietspiegel nicht zukomme, als Grundlage für eine freie richterliche Schätzung der ortsüblichen Vergleichsmiete ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens herangezogen werden könne. Von dieser Rechtsprechung der anderen Kammern grenzt sich die 63. Zivilkammer in dem veröffentlichten Urteil ab.

In einem zwischenzeitlich veröffentlichten Urteil hat der Bundesgerichtshof als höchste Instanz in einem auf den Dresdner Mietspiegel 2015 bezogenen Urteil vom 13.2.2019 (Az. VIII ZR 245/17) entschieden, dass auch ein nicht in jeder Hinsicht wissenschaftlichen Grundsätzen entsprechender – und damit nicht im Sinne von § 558d BGB qualifizierter Mietspiegel – als Schätzungsgrundlage im Rahmen der richterlichen Schätzung nach freiem Ermessen herangezogen werden kann, sofern er trotz fehlender Wissenschaftlichkeit eine gewisse Mindestqualität aufweist. Der Bundesgerichtshof hat damit im Ergebnis die bisherige Rechtsprechung der 64., 65. und 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin bestätigt. Das abweichende Urteil der 63. Zivilkammer dürfte damit überholt sein. Die 67. Zivilkammer hat insoweit zwischenzeitlich gestützt auf das Urteil des Bundesgerichtshofs ihre bisherige Rechtsprechung fortgesetzt und mit Urteil vom 11.4.2019 (Az. 67 S 21/19) entschieden, dass der Berliner Mietspiegel 2017 als taugliche Schätzgrundlage für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete im Rahmen richterlichen Ermessens herangezogen werden kann.

PRAXISHINWEIS

Bei dem mediales Aufsehen erregenden Urteil der 63. Zivilkammer des Landgerichts Berlin zur „Unwirksamkeit“ des Berliner Mietspiegels dürfte es sich um eine Ausreißerentscheidung handeln, die durch die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überholt ist. Zwar lässt das neueste Urteil des Bundesgerichtshofs noch Raum für den Einwand, dass ein Mietspiegel nicht einmal die für eine Heranziehung als richterliche Schätzgrundlage erforderliche Mindestqualität aufweist. Die vom BGH für die Geltendmachung dieses Einwandes gesetzten Hürden sind jedoch zu hoch gesetzt, als dass hier in der Praxis ein ernsthaftes Schlupfloch bleiben dürfte, um an der Maßgeblichkeit des Mietspiegels für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete vorbeizukommen. Bei Vermietern durch das durch die Presse gegangene Urteil der 63. Zivilkammer des Landgerichts geweckte Hoffnungen, künftig Mieterhöhungen oberhalb des Mietspiegels durchsetzen zu können, dürften sich nicht bestätigen.

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