§ 50d Abs. 3 EStG

13.03.2018 – Neuordnung der Entlastung im Quellensteuerabzugsverfahren nach § 50d EStG durch das EuGH-Urteil vom 20.12.2017

Mit Urteil vom 20.12.2017 erklärte der EuGH § 50d Abs. 3 EStG a. F. für europarechtswidrig. Grund für die Entscheidung ist die zu pauschale Missbrauchsvermutung durch § 50d Abs. 3 EStG, dessen Voraussetzungen aus Sicht des Gerichtshofs nicht zwingend auf ein Vorliegen missbräuchlicher Gestaltungen schließen lassen. Für die Praxis ergeben sich hieraus verbesserte Aussichten auf die Entlastung von Kapitalertragsteuern und Quellensteuern nach § 50a EStG. Besondere Bedeutung hat die Entscheidung für ausländische Holdinggesellschaften.

Hintergrund

Die Erhebung von Quellensteuern ist ein Mechanismus, um bei beschränkt Steuerpflichtigen eine effektive Steuererhebung sicherzustellen. Die bestehende Amts- als auch Beitreibungshilfe der Mitgliedsstaaten lässt den Quellensteuerabzug unberührt. Deutschland ordnet sogar den Quellensteuerabzug ungeachtet eines günstigeren DBA- oder Richtliniensatzes an (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG). Ausländische Steuerpflichtige werden in diesen Fällen auf das Erstattungsverfahren (im Nachhinein) verwiesen (§ 50d Abs. 1 Satz 2 ff. EStG). Vom Quellensteuereinbehalt darf nur bei Vorliegen einer nach § 50d Abs. 2 EStG zu beantragenden Freistellungsbescheinigung abgesehen werden. Sowohl im Erstattungs- als auch im Freistellungsverfahren, für welche das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) zuständig ist, erfolgt insbesondere eine Überprüfung, ob die Voraussetzungen der besonderen Missbrauchsvermeidungsvorschrift in § 50d Abs. 3 EStG erfüllt werden. In der Praxis scheitern hieran zahlreiche Erstattungsanträge.

EuGH-Urteil vom 20. Dezember 2017

Mit Urteil vom 20.12.2017 stellte der EuGH in den verbundenen Rechtssachen Deister Holding AG (C-504/16) und Juhler Holding A/S (C-613/16) die Europarechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG in der bis 31.12.2011 geltenden Fassung sowohl im Hinblick auf das europäische Primär- als auch auf das Sekundärrecht fest.

Beiden Streitfällen lagen Sachverhalte zugrunde, bei denen das BZSt eine Entlastung von der deutschen Kapitalertragsteuer nach § 43 ff. EStG versagte, weil die ausländischen Gesellschaften nicht die Anforderungen gemäß § 50d Abs. 3 EStG erfüllten. In beiden Fällen handelte es sich um Holdinggesellschaften, deren Zweck neben dem Halten von Beteiligungen auch in der Erbringung von Dienstleistungen bestand. Während in der Rs. Deister Holding im Ausland ein Büro unterhalten wurde, in dem zwei Mitarbeiter tätig waren, verfügte Juhler Holding weder über eigene Büroräume noch über eigenes Personal.

Der EuGH gibt in der Entscheidung eindeutig zu erkennen, und bestätigt insoweit seine Rechtsprechung, wonach die unionsrechtliche Missbrauchsvermeidung nur dann als Rechtfertigungsgrund in Frage komme, wenn die nationale Regelung bezweckt, rein künstliche Gestaltungen zu verhindern. Dabei muss stets eine individuelle Prüfung im Einzelfall erfolgen. Die zuständigen nationalen Behörden dürfen sich nicht darauf beschränken, ausschließlich vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden. Genau dies ist aber das Problem der deutschen Regelung:

§ 50d Abs. 3 EStG a. F. versagte den Entlastungsanspruch durch das kumulative Vorliegen einer fehlenden persönlichen Entlastungsberechtigung sowie eines der nachfolgenden Kriterien:

1. Fehlen eines beachtlichen Grundes für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft,

2. Nichterzielung von mehr als 10 % der gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft oder

3. keine mit einem angemessenen Geschäftsbetrieb erfolgende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr durch die ausländische Gesellschaft.

Nach Auffassung des EuGH seien diese Kriterien nicht geeignet, einen Missbrauch zu begründen. Ebenfalls schreibe die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht vor, welche Tätigkeit die Gesellschaften ausüben müssen. Folglich könne auch die entlastungsschädliche „Verwaltung von Wirtschaftsgütern“ (§ 50d Abs. 3 Satz 3 EStG) nicht ausreichen, um einen Missbrauch zu begründen. Stattdessen sei in jedem Einzelfall eine umfassende Prüfung der betreffenden Situation vorzunehmen, um das Vorliegen von Missbrauch festzustellen.

Bedeutung auch für die Neuregelung

Mit Wirkung zum 1.1.2012 passte der Gesetzgeber die Vorschrift in § 50d Abs. 3 EStG an: Kern der Neuregelung war die Streichung der starren 10 %-Grenze zur Prüfung, ob eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausgeübt wird. Es gilt nun nicht mehr das starre „alles oder nichts“-Prinzip, sondern unter Anwendung einer sog. „Aufteilungsklausel“ wird die Entlastung insoweit versagt, als nicht Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit vorliegen und auch die weiteren Kriterien nicht erfüllt sind.

Trotz dieser leichten Abänderung der Vorschrift ist auch die Neuregelung wahrscheinlich nicht unionsrechtskonform. Nach wie vor macht Deutschland nämlich die Entlastung auch von der Art der erzielten Einkünfte abhängig. Weiterhin stellt die Regelung nach wie vor auf allgemeine Kriterien ab, die auch in der Altfassung nach Auffassung des EuGH „einzeln oder zusammen betrachtet“ nicht geeignet seien, Missbrauch zu begründen.

Zu verfolgen gilt es in der Zwischenzeit das beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-440/17 anhängige Verfahren, mit dem das FG Köln abermals, nunmehr aber die aktuelle Fassung, § 50d Abs. 3 EStG dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.

Dabei hat das FG explizit auch Zweifel hinsichtlich der Unionsrechtskonformität der Aufteilungsregel geäußert, die Kernbestandteil der Überarbeitung war.

Gesteigerte Bedeutung von Substanz

Während die gegenwärtige Regelung in § 50d Abs. 3 EStG ein Konglomerat an Kriterien voraussetzt, deren Erfüllung nachzuweisen ist, kommt der Prüfung, ob eine Gesellschaft über Substanz verfügt, deutlich zu kurz. Denn in der Praxis sind Fälle zu beobachten, in denen ausländische Gesellschaften über Büros mit umfangreichem Personalbestand verfügen, die Entlastung aber gleichwohl versagt wird, z. B. nur weil keine Erträge aus wirtschaftlicher Tätigkeit erzielt werden. Das „Substanz“-Kriterium in § 50d Abs. 3 EStG spielt zzt. in Satz 1 Nr. 2 eher eine untergeordnete Rolle und kann somit wohl kaum die Wirklichkeit angemessen in die Missbrauchsprüfung mit einführen. Dies ist europarechtlich problematisch, da die Substanz das Merkmal darstellt, um ein rein künstliches und damit rechtsmissbräuchliches Verhalten zu widerlegen. Dem Merkmal der „Substanz“, das anhand der Existenz von Räumlichkeiten, Personal und der Geschäftseinrichtung überprüft werden kann, dürfte daher zukünftig erhöhte Bedeutung zukommen.

Bedeutung für das konzerninterne Outsourcing von Tätigkeiten

Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Vorschrift im Konzern, denn typischerweise werden Aufgaben von unterschiedlichen Gesellschaften innerhalb des Konzerns wahrgenommen. In der Folge scheitert derzeit die Entlastungsberechtigung an der fehlenden Volltätigkeit einer Konzerngesellschaft. Denn nach § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG ist ausschließlich auf die Verhältnisse der jeweiligen ausländischen Gesellschaft abzustellen. Dem gegenüber zeigt der EuGH ein wirklichkeitsnäheres Verständnis: Die Überprüfung, ob eine rein künstliche Konstruktion und damit ein Missbrauch vorliege, habe in jedem Einzelfall anhand einer umfassenden Prüfung der „organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale des Konzerns“ zu erfolgen. Die vom BMF (Schreiben vom 24.1.2012, BStBl. I 2012, 171, Tz. 5.4) vertretene restriktive Auffassung, die Auslagerung wesentlicher Geschäftstätigkeiten stehe der Annahme einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit entgegen und sei daher entlastungsschädlich, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar. Eine rechtsmissbräuchliche Konstruktion ist deshalb nicht bereits aufgrund der bloßen Auslagerung von Funktionen anzunehmen (so auch BFH, 25.2.2004, I R 42/02, BStBl. II 2005, 14).

Verzinsung der Erstattungsansprüche?

Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts sind nun auch die Erstattungsansprüche seitens der Finanzverwaltung in einem anderen Licht zu würdigen und ggf. zu gewähren. Hierbei ist die Verzinsungspflicht zu beachten. Diese ist zwar innerstaatlich bei Steuerabzugsbeträgen grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch ist bei längerfristigen Erstattungsverfahren ein Liquiditätsnachteil auszugleichen. Der unionsrechtlich verbürgte Effektivitätsgrundsatz gewährt nämlich dem Steuerpflichtigen eine angemessene Entschädigung für die Einbußen, die er durch die zu Unrecht gezahlte Steuer erlitten hat. Bei der Zins- und Lizenzrichtlinie ist der Verzinsungsanspruch dagegen eindeutig aufgrund der ausdrücklichen Sonderregelung (§ 50d Abs. 1a EStG). Der Zinslauf beginnt zwölf Monate nach Ablauf des Monats der vollständigen Antragsstellung beim BZSt. Die entsprechenden Nachweisverpflichtungen dürfen dabei nicht überdehnt werden, denn aufgrund der EuGH-Rechtsprechung wäre lediglich nachzuweisen, was das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung widerlegte (also z. B. Mietvertrag für Büroflächen, Arbeitsverträge); mehr aber auch nicht.

Auswirkungen auf weitere Missbrauchsvermeidungsvorschriften

Das Urteil ist auch im Hinblick auf weitere nationale Missbrauchsvorschriften von Bedeutung. Eine besondere Nähe gibt es zu der Substanzvorschrift im Recht der Hinzurechnungsbesteuerung, die entfällt wenn eine „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ ausgeübt wird. Interessanterweise kommt es im Rahmen jener Vorschrift nur auf die Substanz an. Andere vom EuGH anerkannte wirtschaftliche oder sonstige beachtliche Gründe werden dagegen nicht als Nachweis anerkannt.

Neu einzuordnen dürfte auch die Bedeutung der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift in § 42 AO im internationalen Kontext sein. Denn anders als viele spezialgesetzliche Missbrauchsvorschriften nimmt § 42 AO gerade keine pauschale Missbrauchstypisierung vor, sondern stellt in abstrakter Weise auf eine unangemessene Gestaltung ab. Dies dürfte der Rechtsprechung des EuGH am nächsten kommen.

Praxishinweis

Laufende Entlastungsverfahren sind vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung ebenso neu zu bewerten wie laufende Anträge auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung. Wenngleich abzuwarten bleibt, wie das BZSt auf die Entscheidung reagiert, dürften die Aussichten auf eine Entlastung erheblich gestiegen sein. Zugute kann dem Steuerpflichtigen auch die Tatsache der Zuständigkeitskonzentration bei Klagen gegen Bescheide des BZSt beim Finanzgericht Köln kommen, das die Vorlageverfahren erst ins Rollen gebracht und einen strengen Maßstab für die Unionsrechtskonformität an den Tag gelegt hat.

Die Bedeutung des Urteils geht über die Mutter-Tochter-Richtlinie hinaus. Zum einen kann auch für die Zins- und Lizenzrichtlinie nichts anderes gelten, zum anderen ist die vorgenommene Konturierung des Missbrauchsbegriffs auch im Rahmen von Drittstaatenkonstellationen von Bedeutung, denn für die Kapitalverkehrsfreiheit kann nichts anderes gelten als für die vorliegend geprüfte Niederlassungsfreiheit.

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Wir möchten jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese allgemeinen Informationen keine Rechtsberatung für den konkreten Anwendungsfall darstellen. Wir empfehlen ergänzend für Einzelfragen die Hinzuziehung des rechtlichen Beraters. Die Hinweise erfolgen unter dem Vorbehalt einer sich noch herausbildenden Anwendungspraxis und einer sich noch entwickelnden Rechtsprechung.

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