BFH: Säumniszuschläge von 12 % pro Jahr verfassungsgemäß

Der VII. Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) hält nach abschließender Prüfung Säumniszuschläge von 1 % pro Monat bzw. 12 % pro Jahr auch bei lang anhaltenden Niedrigzinsen für verfassungsgemäß (Urteil vom 15. November 2022, VII R 55/20). Damit verringern sich die Erfolgsaussichten derer, die auf eine Minderung der Säumniszuschläge gesetzt haben. Doch die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge ist damit noch nicht definitiv.

Hintergrund

Nach dem „Zinsbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2021 mehrten sich Zweifel daran, ob die Höhe anderer steuerlicher Nebenleistungen – darunter auch Säumniszuschläge – noch verfassungsgemäß sei. In jenem Beschluss hatte das BVerfG festgestellt, dass Nachzahlungs- und Erstattungszinsen von 6 % pro Jahr angesichts des anhaltenden Niedrigzinsniveaus am Kapitalmarkt mit dem Grundgesetz unvereinbar sind (siehe unsere Mandanteninformation und dritter Steuernewsletter 2021). Zu anderen laufzeitabhängigen steuerlichen Nebenleistungen wie Stundungs-, Hinterziehungs-, Prozess- und Aussetzungszinsen sowie Säumniszuschlägen hatte sich das BVerfG nicht weiter geäußert.

Deshalb wollten viele Steuerpflichtige auch die Verfassungsmäßigkeit der doppelt so hohen Säumniszuschläge prüfen lassen und beschritten den Klageweg. Doch die Entscheidungen fielen uneinheitlich aus. Selbst die verschiedenen Senate des BFH fassten in mehreren Eilverfahren bei überschlägiger Prüfung unterschiedliche Beschlüsse. Einige äußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit, während andere Senate diese Zweifel nicht teilten.

Zu solchen abweichenden Entscheidungen der einzelnen BFH-Senate kann es nur in Eilverfahren (Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung) kommen, bei denen wegen der besonderen Eilbedürftigkeit lediglich eine summarische Prüfung vorgenommen und nur eine vorläufige Entscheidung getroffen wird. Die umfassende Prüfung und abschließende Entscheidung bleiben dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren vorbehalten. Bei Urteilen in Hauptsacheverfahren dürfen die BFH-Senate keine abweichenden Entscheidungen treffen, sondern müssen notfalls über den Großen Senat eine einheitliche Linie finden.

Sofern ein Senat allerdings von der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Säumniszuschläge überzeugt wäre, könnte er – anders als im einstweiligen Rechtsschutz – darauf jedoch nicht selbst erkennen. Er müsste das Verfahren vielmehr aussetzen und die Sache dem BVerfG vorlegen.

Entscheidung des VII. Senats

Am 15. November 2022 hatte der VII. Senat im Hauptsacheverfahren keine verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich der Höhe von Säumniszuschlägen mehr. Damit schließt er sich der Auffassung des VI. Senats an (siehe vierter Steuernewsletter 2022) und bestätigte sein – kürzlich bekannt gewordenes – erstes Urteil in einem Hauptsacheverfahren vom 23. August 2022 (VII R 21/21). Zuvor hatte der VII. Senat in Eilverfahren noch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gehabt.

Seine aktuelle Entscheidung begründete der VII. Senat damit, dass die vom BVerfG herausgearbeiteten Grundsätze zur Verzinsung nicht auf Säumniszuschläge übertragbar sind, denn Säumniszuschläge sind gerade keine Zinsen, auch wenn sie einige Eigenschaften von Zinsen teilen.

Zinsen sind lediglich ein Ausgleich für die Kapitalnutzung und weder Sanktion noch Druckmittel. Demgegenüber haben Säumniszuschläge verschiedene Funktionen. Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine Straffunktion. Die Erhebung von Säumniszuschlägen verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen. Die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen ist bei Säumniszuschlägen nur Nebenzweck.

Des Weiteren lässt sich beim Säumniszuschlag auch kein konkreter Anteil bestimmen, der als Zins behandelt werden könnte. Zudem ist die Höhe von 1 % für jeden angefangenen Monat der Säumnis bereits allein zur Erzwingung der rechtzeitigen Zahlung der fälligen Steuer und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich unbedenklich.

Bedeutung für die Praxis

Bislang stellten die Finanzämter Einspruchsverfahren zu Abrechnungsbescheiden, die Säumniszuschläge ausweisen, im Hinblick auf das nun vom VII. Senat entschiedene Verfahren ruhend. Jetzt werden sie die Bearbeitung der Einspruchsverfahren wieder aufnehmen. Betroffene sollten deshalb mit Hinweis auf ein weiteres anhängiges Revisionsverfahren (X R 30/21) erneut das Ruhen des Verfahrens beantragen, wenn sie ihre Verfahren bis zur endgültigen Klärung – entweder durch den BFH oder durch das BVerfG – offenhalten wollen. Entsprechendes gilt für Steuerpflichtige, die aktuell von Säumniszuschlägen in Höhe von 1 % monatlich betroffen sind. Sie könnten weiterhin vorsorglich einen Abrechnungsbescheid beantragen, um eine Handlungsmöglichkeit gegen die Säumniszuschläge zu erhalten.

Weiter ist zu verfolgen, ob gegen die Urteile vom 15. November 2022 (VII R 55/20) und vom 23. August 2022 (VII R 21/21) Verfassungsbeschwerde erhoben wird. Dann könnte das Ruhen des Verfahrens auch auf die anhängige Verfassungsbeschwerde gestützt werden.

Ferner bleibt abzuwarten, ob der III., V. und VIII. Senat des BFH sich in den anstehenden Hauptsacheentscheidungen der Begründung des VII. Senats anschließen oder die Frage der Verfassungswidrigkeit von Säumniszuschlägen dem BVerfG vorlegen. Im Übrigen sind derzeit noch zwei Eilverfahren beim XI. Senat offen.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 2/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.