Hinweispflichten im Vorsteuervergütungsverfahren - EuGH-Urteil "CHEP Equipment Pooling NV" (C-396/20)

Erkennt der Mitgliedstaat der Erstattung einen Fehler in einem Vorsteuervergütungsantrag, so gebieten es der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer sowie der Grundsatz der guten Verwaltung, den Unternehmer darauf hinzuweisen. Berichtigt der Unternehmer daraufhin seinen Antrag, so gilt die Antragsfrist als gewahrt. Dies entschied der EuGH mit Urteil vom 21. Oktober 2021 (C-396/20) in der Rechtssache „CHEP Equipment Pooling NV“.

Unstimmigkeiten im Vorsteuervergütungsantrag

Ein belgischer Unternehmer hatte über die belgischen Behörden am 28. September des betreffenden Folgejahres, also zwei Tage vor Ablauf der Ausschlussfrist am 30. September, einen Antrag auf Vergütung ungarischer Vorsteuer eingereicht. Dabei hatte er alle Informationen und Dokumente beigefügt, die hierfür grundsätzlich verlangt werden. Die ungarischen Behörden stellten jedoch Unstimmigkeiten fest: Teilweise hatte der Unternehmer Rechnungen aufgenommen, für die die Vorsteuer bereits erstattet worden war, teilweise stimmten die Beträge in der Aufstellung nicht mit den Beträgen in den beigefügten Rechnungen überein. Die ungarische Behörde forderte den Unternehmer daher auf, weitere Dokumente und Erklärungen vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Unternehmer nach; die Diskrepanz zwischen den Beträgen in der Aufstellung und in den Rechnungen blieb jedoch weiterhin ungeklärt.

Ungarische Behörde sah sich an die Beträge im Antragsformular gebunden

Die ungarische Behörde stellte dennoch keine weiteren Nachfragen. Soweit die Beträge in der Aufstellung die Beträge in den Rechnungen überstiegen, erstattete sie nur den in den Rechnungen ausgewiesenen Vorsteuerbetrag. Soweit die in der Aufstellung genannten Beträge niedriger waren als die in den Rechnungen, erstattete sie nur den in der Aufstellung genannten Betrag. Die ungarische Behörde war der Auffassung, keine weiteren Informationen für ihre Entscheidung zu benötigen, weil sie meinte, keinen höheren Vorsteuerbetrag vergüten zu dürfen, als im Antragsformular gefordert wurde, selbst wenn die vorgelegten Rechnungen einen höheren Betrag ausweisen.

Das ungarische Gericht legte dem EuGH sinngemäß die Frage vor, ob die ungarische Behörde im Lichte von Artikel 20 der EG-Richtlinie über die Erstattung von Mehrwertsteuer an in einem anderen Mitgliedstaat (2008/9/EG) ansässige Unternehmer die Vorsteuervergütung ohne weitere Nachfragen auf die in der Aufstellung genannten Beträge beschränken durfte, oder ob sie verpflichtet gewesen wäre, diese offenkundigen buchhalterischen Unterschiede durch Anforderung weiterer Informationen aufzuklären. Artikel 20 der Erstattungsrichtlinie erlaubt es der Behörde, weitere Informationen anzufordern, wenn diese meint, nicht über alle relevanten Informationen zu verfügen, um über den Vergütungsantrag zu entscheiden.

EuGH: Wenn Fehler erkennbar sind, muss Behörde versuchen, sie aufzuklären

Der EuGH wies zunächst auf den fundamentalen Grundsatz der mehrwertsteuerlichen Neutralität hin, demnach dem Unternehmer der Vorsteuerabzug zu gewähren ist, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen. Das Recht auf Vorsteuerabzug darf nicht durch überhöhte formelle Anforderungen ausgehöhlt werden. Vor diesem Hintergrund ist Artikel 20 der genannten EG-Richtlinie zu lesen: Die Behörde darf das Vergütungsverfahren nicht durch unnötige Nachfragen verzögern, d. h., sie darf weitere Informationen nur anfordern, wenn sie sonst nicht über den Vergütungsantrag entscheiden kann. Aus dem Wortlaut von Artikel 20 der EG-Richtlinie ergibt sich aber weder eine Verpflichtung der Behörde zur Einholung weiterer Informationen noch eine Berichtigungsmöglichkeit für den Unternehmer.

Diese Lücke schließt der EuGH mithilfe des Grundsatzes der guten Verwaltung, bei dem die Pflichten des Antragstellers und die Pflichten der Erstattungsbehörde gegeneinander abzuwägen seien. Es liege im Verantwortungsbereich des Unternehmers, zutreffende Angaben zu machen, an denen er sich auch festhalten lassen muss. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn ein Fehler für die Behörde leicht erkennbar ist. Der Grundsatz der guten Verwaltung verlange von der Behörde eine sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung aller relevanten Gesichtspunkte, sodass sie bei leicht erkennbaren Fehlern den Unternehmer zügig davon in Kenntnis setzen und ihn auffordern müsse, seinen Antrag zu berichtigen. Der Vergütungsantrag gelte dann als fristgemäß gestellt, auch wenn die angeforderten Berichtigungen erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des 30. September eingehen. Dass im vorliegenden Fall der belgische Unternehmer seinen Vorsteuervergütungsantrag erst zwei Tage vor Fristablauf gestellt hat, sei unerheblich, da die Behörde Nachfragen ab Eingang des Antrags vier Monate lang stellen darf.

Verbindung zum Vertragsverletzungsverfahren

Bereits mit Urteil vom 18. November 2020 (C-371/19) hatte der EuGH über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit der Vergütungspraxis entschieden. Die Europäische Kommission hatte Deutschland vorgeworfen, dass das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nur dann nach Artikel 20 der Erstattungsrichtlinie die gem. Artikel 10 verpflichtenden Vorlage von Rechnungen angemahnt habe, wenn im Zeitpunkt der Prüfung des Antrags die Ausschlussfrist (30. September des Folgejahres) noch nicht abgelaufen war. Damit war es dem Antragsteller unmöglich, die Rechnungen nach dem 30. September nachzureichen. Der EuGH entschied, dass Deutschland durch diese Verwaltungspraxis u. a. gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verstoßen habe. Damit folgte er im Ergebnis dem Vorbringen der Kommission, das Nachfordern von Informationen nach Artikel 20 der Erstattungsrichtlinie sei nicht nur ein Recht der Mitgliedstaaten, sondern auch nach Ablauf der Ausschlussfrist eine Pflicht – zumindest für den Fall der vorzulegenden Rechnungen nach Artikel 10 der Erstattungsrichtlinie.

In diesem Vertragsverletzungsverfahren hatte der EuGH aber nicht darüber entschieden, ob die für die Vergütung zuständige Behörde auch dann beim Steuerpflichtigen nachfragen muss, wenn der Antragsteller Informationen nicht mitgeteilt hat, bei deren Fehlen der Vergütungsantrag nach Artikel 15 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Artikel 8, 9 und 11 der Erstattungsrichtlinie als nicht vorgelegt gilt – die Vorlage der Rechnungen nach Artikel 10 gehört nicht zu diesen speziellen Informationen.

Die hier besprochene Entscheidung in der Rechtssache CHEP stärkt insoweit die Rechte des Unternehmers im Vergütungsverfahren, denn hier ging es um die korrekte Angabe der steuerlichen Bemessungsgrundlagen – eine Angabe, bei deren Fehlen der Antrag als nicht vorgelegt gilt, Artikel 15 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Artikel 8 Abs. 2 e) der Erstattungsrichtlinie. Sie dürfte vom Grundsatz her auf alle Pflichtangaben übertragbar sein, sodass die Behörde immer verpflichtet sein dürfte, nachzufragen, wenn Angaben fehlen.

Praktische Auswirkungen: ablehnende Bescheide prüfen

Ob die Behörde Nachfragen stellen muss, hängt aber nach dem hier vorgestellten Urteil davon ab, ob ein Fehler leicht erkennbar war. Das ist naturgemäß Auslegungssache und dürfte auch in Zukunft ein weites Feld für Diskussionen mit dem Bundeszentralamt für Steuern (bzw. den anderen EU-Behörden, zuständig für das Vorsteuervergütungsverfahren) bleiben. Nach wie vor empfiehlt sich daher größtmögliche Sorgfalt bei der Abfassung des Vergütungsantrags. Wer eine Rückfrage der Behörde erhält, sollte unbedingt im Auge behalten, diese innerhalb der Monatsfrist des Artikels 20 Abs. 2 der EG-Richtlinie zu beantworten.

Unternehmer, deren Vergütungsanträge wegen unvollständiger Informationen abgelehnt wurden, sollten prüfen, ob der Fehler für die Behörde leicht zu erkennen gewesen wäre, sodass die Behörde hätte nachfragen können. In diesem Fall hat ein Einspruch möglicherweise Aussicht auf Erfolg.

(Stand: 02.11.2021)