Einschätzungen zum globalen Neustart der Automobilindustrie

28.05.2020 – Während sich die Automobilindustrie weltweit mit den Folgen von COVID-19 auseinandersetzt und Schritt für Schritt die Produktion wieder aufnimmt, haben wir unsere Automotive-Experten von Mazars in sieben Ländern befragt, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Branche hat, welche staatlichen Maßnahmen es gibt, wo die Branche heute steht und wie es ihrer Einschätzung nach weitergeht.

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Lesen Sie im Folgenden einen ersten Auszug der Insights unserer Experten aus Deutschland, den USA, China, Frankreich, UK, Brasilien und Indien. Weitere spannende Einblicke werden wir in den kommenden Tagen veröffentlichen.
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Wie wirkt sich COVID-19 auf die Automobilindustrie in ihrem Land aus – insbesondere im Hinblick auf den Vertrieb und die Schließungen von Werken und Händlern?

Beispiellos niedrige Produktion – Paulo Misse und Franciane Moraes, Mazars in Brasilien

Im April 2020 wurde ein beispielloser Tiefstand erreicht: Seit Beginn der Aufzeichnungen der Automobilindustrie im Jahr 1957 gab es in Brasilien noch nie einen Monat mit so niedriger Produktion. Laut Anfavea wurden nur 1.847 Fahrzeuge produziert, inklusive Autos, leichter Nutzfahrzeuge, Lastwagen und Bussen. Das entspricht einem Rückgang von 99 Prozent gegenüber dem Vormonat und 99,4 Prozent gegenüber dem April des vergangenen Jahres.

Verwundbar durch die globale Lieferkette – Akhil Puri, Mazars in Indien

Das Jahr 2020 zeichnete sich in Indien bereits als ein Jahr mit geringer Nachfrage ab – und die Produktionsstilllegung hat die Lage für den Sektor noch weiter verschlimmert. Im Inland haben die Verbraucher aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit und der vorrübergehenden Schließung der Händler den Fahrzeugkauf aufgeschoben. Gleichzeitig haben die Exporte aufgrund des weltweiten Stillstands und der Verlangsamung auf Kernmärkten nachgelassen. Werksschließungen von OEMs in den USA und Europa werden sich auch auf den Export von indischen Autokomponenten auswirken.

In diesem Szenario ist zu erwarten, dass sich der Aufbau von Lagerkapazitäten bei exportorientierten Unternehmen fortsetzt. Diese Entwicklung wird zu einem Aufbau des Working Capital  führen. Darüber hinaus wird die von einigen OEMs angekündigte Zahlungszielverlängerung  bei einigen Zulieferern zu einem Anstieg des Finanzierungsbedarfs führen. Das bringt Risiken für kleinere Akteure mit begrenzter Liquidität mit sich.

Die Fabriken wurden vom 24. März bis zum 3. Mai 2020 geschlossen. Ab dem 4. Mai durften sie wieder öffnen. Alle Autohäuser wurden ebenfalls am 24. März 2020 geschlossen. Auf der Grundlage einer Risikobewertung wurde jedoch bestimmten Händlern gestattet, ab dem 4. Mai wieder zu eröffnen.

Wie hat die Regierung Automobilunternehmen bei der Bewältigung der Krise unterstützt? Welche Initiativen haben sie eingeleitet?

Politische Debatte über Kaufpreisprämien – Dr. Christian Back, Mazars in Deutschland

Die Bundesregierung diskutiert zahlreiche Maßnahmen, um den Schaden für die Automobilindustrie zu begrenzen. „Kaufpreisprämien" – ein direkter staatlicher Zuschuss zum Kaufpreis für Neuwagen stehen derzeit im Mittelpunkt der politischen Diskussion. Dazu bildeten sich zwei politische Lager heraus: Auf der einen Seite werden die Prämien abgelehnt, da sie den privaten statt den öffentlichen Verkehr begünstigen und die Förderung zu wenig auf umweltfreundliche Technologien ausgerichtet ist. Andererseits hängen an der deutschen Automobilindustrie rund eine Million Arbeitsplätze, so dass die Prämie unabhängig von der jeweiligen Antriebstechnologie, also auch für Diesel- oder Benzinmotoren, gefordert wird.

Eine Entscheidung der Bundesregierung über die Prämie wird jedoch nicht vor Anfang Juni fallen. Diese Aussetzung der Entscheidung ist von der Automobilindustrie heftig kritisiert worden: Die Kunden werden mit dem Kauf eines Neuwagens solange warten, bis die Entscheidung über eine Prämie gefallen ist, während die Industrie aber gerade jetzt  eine verstärkte Kundennachfrage benötigt.

Daneben wurden von der Bundesregierung Steuer- und Geldvorteile, die Verlängerung von Kurzarbeit sowie ein nahezu unbegrenztes Volumen an Krediten gewährt, um Unternehmen aller Größenordnungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Deutschland zu unterstützen. Diese Unterstützungen sind jedoch nicht speziell auf die Automobilindustrie ausgerichtet, sondern gelten für die gesamte deutsche Wirtschaft.

+++ UPDATE +++

Am 03.06.2020 hat die Bundesregierung eine endgültige Entscheidung getroffen: Es wird keine Kaufprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren geben. Verbraucher können lediglich bis Ende des Jahres vom gesenkten Mehrwertsteuersatz profitieren. Die Bundesregierung möchte nun aber den Kauf von Elektroautos noch mehr fördern. Es wird deutlich höhere Prämien als bisher geben. Diese Umweltprämie wird zunächst bis Ende 2021 befristet. Für E-Fahrzeuge mit einem Nettolistenpreis von bis zu 40.000 Euro bekommen Verbraucher nun 6.000 Euro Prämie anstatt wie bis dato 3.000 Euro.

Die Senkung der Mehrwertsteuer ist für Hersteller und Automobilgewerkschaften immerhin ein kleiner Trost. Die Zukunft geht deutlich in Richtung Umweltfreundlichkeit, so gibt es bereits erste Diskussionen, die Kfz-Steuer ab 2021 stärker am Klimaschutz auszurichten. Und auch die bestehende zehnjährige Befreiung von der Kfz-Steuer für reine Elektroautos soll bis 2030 verlängert werden.

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Schutzprogramme für kleine und große Unternehmen – Jeremy Rice, Mazars in USA

In den USA ist die Autoindustrie vollständig zum Erliegen gekommen. Die ersten Werksschließungen begannen Ende März, wobei in der ersten Aprilwoche alle Produktionsstätten flächendeckend geschlossen wurden. Schrittweise wurden Werke in zahlreichen Staaten ab Mitte Mai wiedereröffnet, einige mussten aber zwischenzeitlich auf Grund von Materialengpässen wieder schließen.

Es gibt eine Vielzahl von Hilfsprogrammen, die Unternehmen während der Krise angeboten werden, aber diese Hilfen sind auf Großunternehmen, u.a. Autohersteller und Zulieferer beschränkt. Anders als in der Rezession 2008/2009 wird es aber wahrscheinlich darüber hinaus keine groß angelegten Rettungsaktionen für die Automobilindustrie geben. Eines der wichtigsten Programme für kleine Unternehmen ist das Lohnschutzgesetz, das Unternehmen mit 500 oder weniger Beschäftigten Darlehen gewährt, auf dessen Rückzahlung verzichtet wird, wenn diese Kredite in acht Wochen nach der Darlehenszusage für die Lohn- und Gehaltsabrechnung, Miete und Versorgungsleistungen ausgegeben werden.

Größere Unternehmen erhalten eine gewisse Entlastung durch reduzierte und aufgeschobene Lohnsteuern für Löhne und Gehälter, die sie während der Krise gezahlt haben. Das ist zwar hilfreich, reicht aber oft nicht aus, um die entstandenen Verluste auszugleichen. Darüber hinaus wurde das Arbeitslosenprogramm finanziell gestärkt, das denjenigen, die während der Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben oder beurlaubt wurden, mehr Geld über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stellt.

Gegenwärtig setzt sich die Automobilindustrie bei der Regierung dafür ein, den Verbrauchern zusätzliche Anreize zu bieten, um die Nachfrage nach Neufahrzeugen anzukurbeln.

Stundung und Kürzung von Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen für Unternehmen – Helena Mao, Mazars in China

Die Produktionswerke werden wiedereröffnet und die Industrie in China wagt einen Neustart. Die Regierung hat die folgenden Steueranreize eingeführt, um den Aufschwung zu unterstützen:

  • Importierte Materialien, die für die Seuchenprävention und -bekämpfung gespendet werden, sind von Einfuhrzöllen, Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuer befreit.
  • Bargeld und Waren, die von Unternehmen und Einzelpersonen für die Pandemieprävention und -bekämpfung gespendet werden, können in voller Höhe vor CIT/IIT abgezogen werden.
  • Der maximale Übertragungszeitraum für die entstandenen Verluste wird im Jahr 2020 von fünf auf acht Jahre verlängert.

Andere Richtlinien variieren je nach Region, in Shanghai können Unternehmen beispielsweise folgende Hilfen in Anspruch nehmen:

  • Stundung der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auf drei Monate nach Ende der Epidemie (das Datum ist noch nicht festgelegt und Verschiebung der Anpassung der Sozialversicherungsbeitragsgrundlage vom 1. April auf den 1. Juli).
  • Der von den Unternehmen gezahlte Beitragssatz für die Krankenversicherung der Arbeitnehmer (einschließlich Mutterschaftsversicherung) wird vorübergehend gesenkt (von 10,5 % auf 5,25 % für Februar-Juni und dann von Juli bis Dezember auf 10 % erhöht).
  • Befreiung und Kürzung der Beiträge für Renten-, Arbeitslosen- und Arbeitsunfallversicherung. Für Großunternehmen gibt es von Februar bis April 2020 eine 50-prozentige Reduzierung (derzeit 16,66 %-18,02 %, nach der Reduzierung 8,33 % auf 9,01 %). In der Zwischenzeit gilt für mittlere, kleine und Kleinstunternehmen eine vollständige Befreiung von Februar bis Juni 2020.

Im Hinblick auf die Unterstützung von Finanzkrediten können Unternehmen in den von der Epidemie stark betroffenen Sektoren Darlehenszinsermäßigungen von bis zu 50 % des aktuellen Marktzinses gewährt werden.

Hat die Regierung umfassendere wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen, die der Automobilindustrie helfen werden?

Staatlich gesicherte Kredite – Louis Burns, Vesko Petkov, Mazars im Vereinigten Königreich

Die britische Regierung hat die Mehrwertsteuer-Zahlung bis Ende Juni 2020 aufgeschoben. Unternehmen haben dann bis zum Ende des Steuerjahres 2020/21 (voraussichtlich bis zum Ende des unternehmerischen Steuerjahres im März, April oder Mai 2021) Zeit, um alle Verbindlichkeiten zu begleichen, die sich während des Stundungszeitraums angesammelt haben. Der Zahlungsaufschub gilt automatisch, die Unternehmen brauchen ihn nicht zu beantragen. Mehrwertsteuer-Rückerstattungen und -rückforderungen werden wie üblich von der Regierung gezahlt. Andere relevante Maßnahmen umfassen:

  • Verlängerte Zahlungsfristen für alle Steuern, z.B. Körperschaftssteuer, PAYE, NI und Mehrwertsteuer, wenn sich Unternehmen aufgrund von COVID-19 in einer vorübergehenden finanziellen Notlage befinden.
  • Ein Coronavirus-Job-Erhaltungs-Programm (Job Retention Scheme), bei dem bis zu 80 Prozent bzw. maximal bis zu 2.500 Pfund pro Monat des Gehalts von Arbeitnehmern, die andernfalls entlassen werden müssten, übernommen werden. Beurlaubte Arbeitnehmer dürfen während der Zeit ihrer Beurlaubung nicht für das Unternehmen arbeiten.

Das sind die bereitgestellten finanziellen Mittel:

  • Es gibt Darlehen für Corona-bedingte Betriebsunterbrechung (Coronavirus Business Interruption loan) für Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 45 Mio. britischen Pfund, die eine 80-prozentige staatliche Bürgschaft, die Übernahme von Bearbeitungsgebühren und Zinsfreiheit für ein Jahr vorsehen.
  • Das gleiche Darlehen ist für Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 500 Millionen britischen Pfund verfügbar - mit 80 Prozent Staatsgarantie und martgerechten Zinssätzen.

Weitreichende Maßnahmen für die Automobilindustrie – Grégory Derouet, Pauline Blachere, Mazars in Frankreich

Seit Ende April haben die Hersteller in Frankreich schrittweise die Produktion wieder hochgefahren, wobei neue Maßnahmen zur Einhaltung des Sicherheitsabstands eingeführt wurden. Die Umweltprämie 2019 wurde aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Eindämmungsmaßnahmen verursacht wurden, um drei Monate verlängert.

Am 26. Mai 2020 hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die französische Automobilbranche Hilfsmaßnahmen in Höhe von rund 8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Zugesagt sind sowohl finanzielle Hilfen für Autokäufer – Privatpersonen ebenso wie Unternehmensfahrzeuge – als auch für die Hersteller.

Mit diesen Subventionen will die französische Regierung sowohl die Automobilindustrie unterstützen, als auch zum führenden Produktionsstandort für schadstoffarme Fahrzeuge in Europa werden: Bis 2025 sollen in Frankreich eine Million schadstoffarme Autos gebaut werden. Entsprechend ist nach Macrons Worten im Rahmen der Post-Corona-Subventionen eine Milliarde Euro für Kaufprämien für Elektro- und Hybridfahrzeuge vorgesehen. Beim Kauf eines Elektroautos gibt es einen Bonus von 7000 Euro anstatt wie bislang 6000 Euro. Für schadstoffarme Geschäftsfahrzeuge soll es eine Prämie von 5000 Euro geben. Hybridfahrzeuge, für deren Kauf bislang keine Förderung vorgesehen war, sollen in Zukunft mit 2000 Euro bezuschusst werden.

Neben den Kaufprämien treten 300 Millionen Euro an Kreditbürgschaften sowie eine Bürgschaft von fünf Milliarden Euro für Renault in Kraft. Als Voraussetzung dafür muss der Automobilhersteller, an dem das Land mit 15 Prozent beteiligt ist, einen Plan zur Einsparung von 2 Milliarden Euro innerhalb von drei Jahren vorlegen. Zudem muss der Konzern der deutsch-französischen Allianz für die Herstellung von Batterien für e-Autos beitreten und sich mit der Regierung über Ziele zum Erhalt der Beschäftigung verständigen.

Mit einem Fonds für die Automobilindustrie im Umfang von einer Milliarde Euro will die Regierung vor allem kleinere Zulieferer unterstützen, die ebenfalls von den Auswirkungen der Corona-Krise und den schweren Folgen für die Automobilbranche betroffen sind.

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