Carsharing nimmt Fahrt auf: Die Auswirkungen auf Autofahrer*innen und -hersteller

Die rasant wachsende Bedeutung von Smartphones und Nachhaltigkeit geben dem Elektroauto- und Carsharing-Trend Aufwind, mit Folgen für die Geschäftsmodelle von Autoherstellern und -vermietern in den kommenden Jahren. Schon jetzt ist klar: Diese veränderte Markt- und Nachfragesituation wird die strukturierte Erfassung und Analyse von Mobilitäts- und Nutzungsdaten unabdingbar machen.

Für viele ist Carsharing schon Alltag: Im Jahr 2020 haben über 40 Millionen Menschen weltweit Carsharing-Angebote genutzt (Statista). Bis zum Jahr 2025 sollen es über 50 Millionen Nutzer*innen sein. Diese Zahlen sorgten für ein weltweites Umsatzwachstum von 8,3 Mrd. US-Dollar im Jahr 2017 auf 9,6 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019. Trotz Corona-Krise soll der Umsatz spätestens 2025 14 Mrd. US-Dollar betragen.

Die regionalen Unterschiede sind bei der Nutzung von Carsharing-Services aber noch eklatant. Während in Chinas Stadtzentren das Angebot boomt, ist der Service in den ländlichen Regionen der Welt noch kaum vorhanden. Es gibt aber Ausnahmen: Im indischen Markt wächst das Carsharing stark: „Der Markt ist explodiert“, berichtet Abhijit Pal, Partner bei Mazars. „In den letzten Jahren hat die Nachfrage im Durchschnitt um mehr als 25 Prozent pro Jahr zugenommen.“

Auch die europäischen Märkte wachsen signifikant: „Die Branche hat enormes Potenzial“, sagt Christian Back, Partner und Global Co-Head Automotive bei Mazars. Die Zahl der Nutzer*innen in Deutschland ist von 600.000 im Jahr 2016 auf mehr als eine Million im Jahr 2020 gestiegen (Statista). Beim Vergleich des Carsharing-Angebots in Großstädten liegt Berlin beim Marktwachstum gleichauf mit New York und Helsinki.

Diese Entwicklung wird weitergehen, obwohl mit Carsharing derzeit noch kaum Gewinne erzielt werden. „Es gibt viele neue Anbieter auf dem Markt“, erklärt Back, „und das macht es schwer, schwarze Zahlen zu schreiben. Zum Teil liegt das aber auch an den im Vergleich zum eigenen PKW höheren Wartungs- und Reinigungskosten.“

Sharing Economy – die neue Art zu teilen

Vier globale Trends treiben in den nächsten Jahren die Entwicklung des Carsharings an.

Elektroautos

Der erste Trend ist der Aufstieg der Elektroautos, die aus deutlich weniger Teilen gebaut werden als klassische Autos. Das macht die Wartung und Reparatur günstiger, was wiederum die im Carsharing höheren Wartungs- und Reparaturkosten ausgleicht – ein entscheidender Kostenvorteil für Unternehmen mit niedriger Gewinnspanne. Außerdem hat das Angebot von Elektroautos im Carsharing dazu geführt, dass manch umweltbewusste*r Autofahrer*in den Service und damit die umweltfreundliche Antriebstechnologie ausprobierten.  

Connected Devices

Der zweite Trend ist die immer stärkere Verbreitung von Smartphones und anderen Connected Devices. Dadurch erreichen die Carsharing-Anbieter jedes Jahr mehr und mehr Kunden. Die hohe Marktdurchdringung von Smartphones macht das Carsharing schlicht komfortabler als traditionelle Taxidienste. Außerdem tragen Apps dazu bei, dass das Sharing-Angebot leichter in kombinierte Mobilitätslösungen integriert werden kann, um den Zugang und das Bezahlen unterschiedlicher Services auf einer gemeinsamen Plattform zu bündeln.  

„Grüneres“ Denken

Drittens: Der Trend zu immer umweltfreundlicheren Mobilitätsangeboten führt bei den Fahrer*innen in den nächsten Jahren stärker dazu, sich bewusst fürs Carsharing mit Elektroauto zu entscheiden. Das ist auch für den Gesamtmarkt von Bedeutung, denn die mit grünem Strom betriebenen Elektroautoflotten der Anbieter beschleunigen den Übergang von konventionellen Autos mit Verbrennungsmotoren zu umweltfreundlichen, nachhaltigeren Mobilitätsalternativen.

Synergieeffekte

Zu guter Letzt profitiert das Carsharing auch von anderen Marktteilnehmern. Beispielsweise übernehmen Autovermietungen Carsharing-Geschäftsmodelle: „Traditionelle Autovermietungen investieren vermehrt in Carsharing und transformieren sich somit selbst zu globalen Mobilitätsdienstleistern“, erklärt Isabelle Massa, Partnerin bei Mazars.

Ein Erfolg für die ganze Automobilindustrie

Carsharing-Anbieter entwickeln sich zunehmend zu Schlüsselkunden für die Automobilhersteller und deren Zulieferer – mit Einfluss auf die angebotenen Modelle. Denn Carsharing-Anbieter legen bei ihren Anschaffungen weniger Wert auf konventionelle Kaufargumente wie Marke, Ausstattung oder Stil. Vielmehr zählt der Preis und die langfristigen Wartungsservices. „Mit zunehmender Anzahl von Carsharing-Services gewinnt der Fahrzeugpreis immer mehr an Bedeutung. Für Premium-Hersteller ist das zwar keine gute Nachricht, für Marken mit kleineren, günstigeren Fahrzeugen jedoch eine Riesenchance“, erklärt Back.

„Daimler, BMW und Volkswagen haben mit Share Now und WeShare eigene Carsharing-Angebote auf den Markt gebracht. Diese Konzepte geben den Herstellern nun die Gelegenheit, neue Entwicklungen im Markt einzuführen, zu testen und zu verbessern. Über die Apps, mit denen Fahrer*innen die Fahrzeuge buchen und zur Nutzung freischalten, können Hersteller direkt die Kundenzufriedenheit abfragen und gleichzeitig Markenloyalität aufbauen“, so Back weiter.

Weiterhin ermöglicht Carsharing es, Fahrer*innen noch mehr Service zu bieten: Anonymisierte Nutzungsdaten geben Herstellern ein Verständnis davon, was ihre Kund*innen wollen. „Daten aus Kundenbewertungsportalen und dem kontaktlosen Öffnen und Schließen per App erlauben die Analyse von Verhaltensmustern, um Lifetime-Value-Modelle bereitzustellen“, ergänzt Pal. „Die Hersteller erhalten in Echtzeit Zugriff auf Kennzahlen wie die Fahrt- und Parkdauer, zurückgelegte Strecke, Geschwindigkeit und vieles mehr.“ Auf diese Weise können Marketingaktivitäten angepasst, Kundenbeziehungen verbessert und Forschung und Entwicklung beschleunigt werden. Kurzum: Daten sind auch in der Automobilindustrie eine der wertvollsten Ressourcen – wie wir es bereits von Technologieunternehmen kennen.

Langfristig werden neue Technologien, wie etwa die Stimmanalyse in Carsharing-Fahrzeugen, weitere Möglichkeiten liefern. Laut Back sind solche Echtzeitdaten von Fahrer*innen unabdingbar, wenn Hersteller zukünftig profitieren wollen. „Ein Auto könnte beispielsweise am Fahrtende fragen, wie sich die Fahrt angefühlt hat und dabei die Antwort als auch die Tonlage analysieren. So entsteht unmittelbar nach dem Fahrerlebnis ein detailliertes Bild der Kundenzufriedenheit.“

Anschließend können die Unternehmen ihre Kund*innen zielgerichtet strategischen Segmenten zuordnen. „Auch für Versicherungen sind Informationen aus Carsharing-Fahrzeugflotten hilfreich, etwa um gerechte Beiträge festzulegen“, erklärt Massa. „Autovermietungen wiederum könnten ihre Preise an unterschiedliche Fahrstile anpassen.“

Carsharing als politische Agenda

Unterstützung kommt hierbei aus der Politik. Manche Stadtverwaltungen stellen den Carsharing-Diensten eigene Parkflächen zur Verfügung, was die Nutzung besonders attraktiv macht. Andere wiederum verfolgen das Ziel, Fahrer*innen vom eigenen Auto abzubringen. „Momentan finden in einigen deutschen Städten Überlegungen statt, die Nutzung privater Fahrzeuge testweise vom Verkehr auszuschließen oder zu begrenzen“, sagt Back. „Carsharing könnte von solchen Beschränkungen ausgenommen werden, denn es trägt ja zu einem nachhaltigeren Stadtverkehr bei.“ Back weiter: „Wenn die Nutzung von Carsharing-Diensten in Städten immer einfacher wird, führt dies allmählich dazu, dass weniger Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Das eröffnet mehrere Wachstumsperspektiven für die Automobilbranche.“

Trotz des aktuell noch schwierigen, unprofitablen Marktumfelds wächst Carsharing kräftig weiter. In zahlreichen Städten weltweit ist der Service schon heute elementarer Bestandteil der Mobilitätsinfrastruktur. Nach aktuellen Einschätzungen wird die Automobilindustrie ihr Angebot weiter auf das Carsharing ausrichten und ihre Technologien an die Bedürfnisse dieser Kundschaft anpassen. Hinsichtlich dieser sich verändernden Verbrauchergewohnheiten, globaler Nachhaltigkeitsziele und bewussterem Ressourceneinsatz ist Carsharing ein essenzieller Teil im Übergang von privat genutzten Fahrzeugen hin zu ökologischer gestalteten Verkehrssystemen.

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