Brexit: Mitarbeiterentsendung

20.07.2016 – Brexit, Auswirkungen auf den Bereich internationale Mitarbeiterentsendung

Mazars betreut im Bereich internationale Mitarbeiterentsendung entsandte Mitarbeiter deutscher bzw. britischer Unternehmen sowie Mitarbeiter mit lokalen Arbeitsverträgen und Tätigkeiten in mehreren Mitgliedstaaten. Angesichts von jeweils ca. 100.000 britischen und deutschen Expatriates in den jeweiligen Gastländern nehmen mit dem näher rückenden Referendum in Großbritannien Fragestellungen zur Freizügigkeit und den aufenthalts-, sozialversicherungs und steuerrechtlichen Auswirkungen größeren Raum ein.

Ein möglicher Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union löst zunächst gem. Art. 50 des Lissaboner EU-Vertrages (im folgenden EU-Vertrag) Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union über die Einzelheiten eines Austritts und den anschließenden Abschluss eines Abkommens hierzu aus. Mögliche Auswirkungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wird sich ggf. auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit auswirken. Innerhalb der EU genießen Unionsbürger, d. h. Staatsbürger eines Mitgliedstaates der EU, weitreichende Privilegien bei der Einreise, dem Aufenthalt sowie der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat (vgl. Art. 45 AEUV). Ergänzende Regelungen finden sich in der sog. Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG des Rats vom 29.04.2004). Die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit werden zuletzt auch davon abhängen, ob Großbritannien mit der Europäischen Union entsprechend den Regeln der Welthandelsorganisation Freihandelsabkommen schließt, der Europäischen Freihandelsassoziation (im Folgenden EFTA) beitritt bzw. auf der Basis jeweils geschlossener Abkommen ähnlich der Schweiz seine Beziehungen zur EU regelt.
     
  2. Bürger aus EU-Staaten, die in Deutschland einer Beschäftigung nachgehen, sind bisher vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Staatsangehörige von EFTA-Mitgliedstaaten kommen ebenfalls in den Vorzug der Arbeitnehmerfreizügigkeit und bedürfen keines Aufenthaltstitels. Für Staatsangehörige der Schweizerischen Eidgenossenschaft gilt das sog. „Freizügigkeitsabkommen EU-Schweiz“. Bei einem über 3 Monate hinausgehenden Aufenthalt ist der Aufenthalt in Deutschland bei der zuständigen Ausländerbehörde anzuzeigen und eine Aufenthaltserlaubnis Schweiz zu beantragen. Die Auswirkungen eines Austritts im Bereich des Aufenthaltsrechts werden letztlich davon abhängen, welches Modell im Rahmen des oben angesprochenen Austrittsabkommens gewählt wird. Dies gilt letztlich auch für deutsche Staatsbürger, die einer Beschäftigung in Großbritannien nachgehen. Auch für sie wird die weitere Behandlung vom Inhalt des Austrittsabkommens abhängen.
     
  3. Bei der Prüfung des anwendbaren Sozialversicherungsrechts während einer Entsendung ist zu prüfen, ob ein Wechsel in das ausländische System der sozialen Sicherheit erfolgen muss bzw. ein Verbleiben im Heimatsystem möglich ist. Dies regeln unmittelbar geltende EU-Verordnungen und bilaterale Sozialversicherungsabkommen. Innerhalb der EU bzw. des EWR bildet die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO 883/2004) sowie die entsprechende Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 den wesentlichen Grundstein der Sozialversicherungszugehörigkeit. Im Übrigen gelten bilaterale Sozialversicherungsabkommen mit bestimmten Staaten. Die Anwendbarkeit des jeweils geltenden Sozialversicherungsrechts nach einem Brexit wird von den Verhandlungen des Austrittsabkommens abhängen. Als Optionen kommen in Betracht, dass Großbritannien – wie Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz (seit 01.06. bzw. 01.04.2012) – in den Geltungsbereich der VO 883/2004 einbezogen bleibt oder über bilaterale Abkommen die Sozialversicherung deutscher und britischer Expats regelt.
     
  4. Folgewirkungen bei der individuellen Besteuerung der Mitarbeiter auf der Ebene des abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens mit Großbritannien bestehen nicht. Als Auswirkungen auf der Ebene des nationalen Steuerrechts ergeben sich familienbezogene Vergünstigungen für unbeschränkt steuerpflichtige EU-/ EWR-Staatsangehörige, deren Ehegatte/Lebenspartner und/oder Kinder nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind (z. B. für die Zusammenveranlagung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG oder den Abzug von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben). Die Berücksichtigung negativer Einkünfte in Bezug zu Drittstaaten ist in § 2a EStG geregelt. Als Drittstaaten werden insofern Staaten angesehen, die nicht Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR sind
     
  5. Änderungen mit Blick auf Fragen der Betriebsstättenbegründung deutscher bzw. britischer Unternehmen im jeweils anderen Land sowie der Einkunftsabgrenzung ergeben sich nicht.