Sektorenauftraggeber im Energiebereich

Die Vergabekammer Berlin (Urt. v. 22.1.2020 – VK B 1-38/19) hat entschieden, dass der Betreiber eines Übertragungsnetzes in der Rechtsform einer GmbH nach deutschem Recht ein Energieversorgungsunternehmen und damit ein Sektorenauftraggeber ist, wenn sich mehr als die Hälfte des Unternehmenskapitals im Besitz öffentlicher Auftraggeber befindet. Das gilt auch dann, wenn es sich teilweise um ausländische (hier: belgische) Kommunen handelt.

Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Nachprüfungsantrags hatte die VK Berlin über die Sektorenauftraggebereigenschaft im Energiebereich zu entscheiden.

Die Betreiberin eines Übertragungsnetzes habe die Aufgabe, die Übertragung von Elektrizität wahrzunehmen und sei verantwortlich für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen. Sie übt Sektorentätigkeiten auf dem Gebiet der Elektrizität nach § 102 Ab. 2 GWB aus. Die im Verfahren in Rede stehende Beschaffung diente auch der Ausübung dieser Tätigkeiten.

Allerdings übe die Betreiberin des Übertragungs - netzes die Sektorentätigkeiten nicht aufgrund der Gewährung ausschließlicher oder besonderer Rechte durch eine zuständige Behörde aus. Nach § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GWB sind natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts Sektorenauftraggeber, wenn sie Sektorentätigkeiten nach § 102 GWB aufgrund ausschließlicher oder besonderer Rechte ausüben, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden. Nach § 100 Abs. 2 GWB sind ausschließliche oder besondere Rechte solche, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Keine besonderen oder ausschließlichen Rechte in diesem Sinne sind Rechte, die aufgrund eines Verfahrens nach den Vorschriften dieses Teils oder aufgrund eines sonstigen Verfahrens gewährt wurden, das angemessen bekannt gemacht wurde und auf objektiven Kriterien beruht.

Im nationalen Energierecht gibt es ein solches besonderes bzw. ausschließliches Recht nicht mehr (vgl. Marx in: Danner/Theobald, Energierecht, 101. EL Mai 2019, Rn. 49 f.).

Die Genehmigung zum Betrieb eines Übertragungsnetzes durch die zuständige Behörde gemäß § 4 EnWG kann grundsätzlich jedes Unternehmen beantragen und bei Erfüllung der Voraussetzungen auch erhalten. Ebenso verhält es sich mit der Zertifizierung durch die Regulierungsbehörde gemäß § 4a EnWG. Auch eine solche begründet kein besonderes oder ausschließliches Recht (vgl. EuGH, Urteil vom 12.12.2013, C-327/12). Weder die Genehmigung noch die Zertifizierung begründen ein ausschließliches oder besonderes Recht im Sinne des § 100 Abs. 2 GWB. Auch wenn es in Deutschland faktisch keinen Wettbewerb unter oder mit den vier, auch in § 2 Nr. 3a StromNEV namentlich aufgeführten, Netzbetreibern gibt und insbesondere in der jeweiligen Regelungszone ein Monopol besteht, so besteht dies nicht in Folge der Gewährung i. S. v. § 100 Abs. 2 Nr. 2 lit. a GWB durch eine zuständige Behörde. Die Duldung eines solchen Oligopols durch eine Behörde reicht nach dem Wortlaut des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GWB gerade nicht aus (so auch OLG München, Beschluss vom 28.8.2019, Verg 15 / 19; anders noch: VK Lüneburg, Beschluss vom 30.9.2015 – VgK – 30/2015). Vielmehr ist dieses Oligopol bzw. Monopol in der jeweiligen Regelungszone historisch und geografisch gewachsen, aber rechtlich nicht im Sinne eines Ausschließlichkeitsrechtes geschaffen worden und in Stein gemeißelt. Allerdings sei die Betreiberin des Übertragungsnetzes jedoch Sektorenauftraggeberin im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) GWB. Sie ist eine juristische Person des privaten Rechts mit Sitz in Deutschland. Mehr als die Hälfte des Unternehmenskapitals ist im Besitz öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 bis 3. Denn u. a. belgische Kommunen und ein Zweckverband besitzen insgesamt und unstreitig 58,488 % der Anteile an der Holdinggesellschaft, die zu 100 % die Anteile an der Betreiberin des Übertragungsnetzes hält.

Nach § 100 Abs. 3 GWB wird die Ausübung eines beherrschenden Einflusses im Sinne von Absatz 1 Nr. 2 lit. b) vermutet, wenn ein öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 1 bis 3 unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt. Diese Vermutung konnte die Betreiberin des Übertragungsnetzes nicht widerlegen. Insbesondere dass ein beherrschender Einfluss der an der Übertragungsnetzbetreiberin beteiligten öffentlichen Auftraggeber tatsächlich nicht gegeben ist, konnte die Antragsgegnerin nicht nachweisen. Aufgrund der in § 100 Abs. 3 Nr. 1 GWB geregelten Vermutungswirkung trägt die Antragsgegnerin die Beweislast dafür, dass ein beherrschender Einfluss tatsächlich nicht vorliegt oder aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 9.12.2014 – 1 /SVK/032 – 14; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018 Rn. 20).

Vor dem Hintergrund der europaweiten Geltung der vergaberechtlichen Regelungen kann und darf es nach der VK Berlin keinen Unterschied machen, ob ein deutscher oder anderer europäischer Auftraggeber im Sinne des Art. 3 Nr. 3 RL 2014/25/EU an einem Unternehmen wie dem der Antragsgegnerin unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Die Aufteilung der Anteile an der Antragsgegnerin auf mehrere öffentliche Auftraggeber auch aus verschiedenen europäischen Staaten führt zu keiner anderen Beurteilung (vgl. Dörr in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2017, § 100 Rn. 34, 39). Denn im vorliegenden Verfahren handelte es sich bei den anderen öffentlichen Auftraggebern, die an den Anteilen der Antragsgegnerin zumindest mittelbar beteiligt sind/ waren, ausschließlich um solche, die ebenfalls dem europäischen Vergaberecht unterfallen.

Für Unterstützung in Fragen des Vergabe- und Energierechts stehen wir gern zur Verfügung.

          

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public-Sector-Newsletter 3-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.