Scheibenpachtmodell und Eigenversorgung

Das LG Wuppertal hat mit Urteil vom 23. Juni 2020 (Az.: 5 O 490/19 – nicht rechtskräftig) die Klage eines Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) auf Zahlung der EEG-Umlage abgewiesen und damit eine wichtige Entscheidung zu § 104 Abs. 4 EEG (Übergangsregelung der Scheibenpacht ) getroffen.

Die Beklagte war ein in der Regelzone der Klägerin (ÜNB) tätiges kommunales Versorgungsunternehmen, welches Privatkunden, Gewerbe und Industrie mit Strom, Gas, Fernwärme und Energiedienstleistungen versorgt.

Mit Wirkung zum 1. Juni 2014 schlossen die Beklagte und ihre Streithelferin einen mit „Vertrag über die Pacht einer Kraftwerksscheibe“ überschriebenen Vertrag (Sachverhalt gekürzt). Nach § 1 Abs. 1 des Pachtvertrages verpachtete die Beklagte an ihre Streithelferin eine Kraftwerksscheibe an den Kraftwerksanlagen der Beklagten im Heizkraftwerk HKW-Elberfeld mit elektrischer Nettoleistung in Höhe von 6,0 MW, was in etwa 7,059 Prozent der gesamten maximalen elektrischen Nettoleistung des HKW-Elberfeld ausmachte. Ausweislich der Präambel zum Pachtvertrag beabsichtigte die Streithelferin mit der Pacht der Kraftwerksscheibe den Strombedarf für ihre Verbrauchsstellen im Gemeindegebiet zu decken. Die ca. 560 Verbrauchsstellen der Streithelferin, darunter unter anderem Verwaltungsgebäude, eine Feuerwache, Kindertagesstätten und Verkehrssignalanlagen, befinden sich ebenso wie das Heizkraftwerk im Gemeindegebiet der Streithelferin der Beklagten und sind maximal 6,6 km vom HKW-Elberfeld entfernt. Der Strom für die Verbrauchsstellen wird vom Kraftwerk über eine 110-kV-Leitung durch das öffentliche Netz im Gemeindegebiet der Streithelferin geleitet. Unter § 2 des Pachtvertrages vereinbarten die Beklagte und die Streithelferin die Zahlung eines bestimmten, mengenunabhängigen Pachtentgeltes. Weiterhin schlossen die Beklagte und ihre Streithelferin einen Betriebsführungsvertrag, einen Beschaffungsvertrag über Brennstoff, Hilfsstoffe und Emissionszertifikate sowie einen Energiedienstleistungsvertrag.

Die Beklage machte in Bezug auf Stromverbräuche der Streithelferin ein Leistungsverweigerungsrecht geltend, d. h. sie verweigerte die Zahlung der EEG-Umlage. Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beklagte als Elektrizitätsunternehmen an ihre Streithelferin als Letztverbraucher Strom geliefert habe. Maßgebend sei, dass es sich bei dem Elektrizitätsunternehmen und dem Letztverbraucher um zwei selbstständige juristische Personen handele. Der Strom sei nicht in räumlichem Zusammenhang zum HKW-Elberfeld im Sinne der § 37 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EEG 2012 bzw. § 61 e Abs. 1 Nr. 3 EEG 2017 verbraucht worden, weshalb die Voraussetzungen für ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 104 Abs. 4 EEG 2017 nicht erfüllt seien. Die Beklagte und ihre Streithelferin waren hingegen der Ansicht, dass die Beklagte im Hinblick auf die streitgegenständlichen Strommengen kein Elektrizitätsunternehmen sei, da sie diese nicht an ihre Streithelferin geliefert habe. Vielmehr habe die Streithelferin selbst im HKW-Elberfeld Strom erzeugt und sodann selbst verbraucht. Bei diesem Pacht- und Betriebsführungsmodell handele es sich um eine vollständig EEG-Umlage-befreite und bestandsgeschützte Eigenerzeugung. Jedenfalls könne sich die Beklagte auf ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 104 Abs. 4 EEG 2017 berufen.

Das Landgericht Wuppertal hatte daher vor allem zum Kriterium der Betreibereigenschaft und der räumlichen Nähe zu entscheiden. Im Ergebnis hat es die Klage des ÜNB im vollen Umfang abgewiesen. 

Gemäß § 104 Abs. 4 Satz 2 EEG 2017 gilt ausschließlich zur Bestimmung des Betreibers und der von ihm erzeugten Strommengen im Rahmen von Satz 1 Nr. 1 ein anteiliges vertragliches Nutzungsrecht des Letztverbrauchers an einer bestimmten Erzeugungskapazität der Stromerzeugungsanlage als eigenständige Stromerzeugungsanlage, wenn und soweit der Letztverbraucher diese wie eine Stromerzeugungsanlage betrieben hat. Diese Voraussetzungen sah das LG Wuppertal vorliegend als gegeben an.

Das LG Wuppertal führt zur Begründung der Betreibereigenschaft aus: „Bei dem zwischen der Beklagten und ihrer Streithelferin praktizierten Scheibenpachtmodell handelt es sich um ein solches anteiliges vertragliches Nutzungsrecht eines Letztverbrauchers. Die Streithelferin hat die Stromerzeugungsanlage auch wie eine Stromerzeugungsanlage betrieben. Anlagenbetreiber in diesem Sinne ist gemäß § 3 Nr. 2 EEG 2017, § 5 Nr. 2 EEG 2014, § 3 Nr. 2 EEG 2012, wer unabhängig vom Eigentum die Anlage für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oder aus Grubengas nutzt. Nach der Gesetzesbegründung ist darauf abzustellen, wer die Kosten und das wirtschaftliche Risiko des Anlagenbetriebs trägt und das Recht hat, die Anlage auf eigene Rechnung zur Stromerzeugung zu nutzen, also über den Einsatz der Anlage bestimmt bzw. zumindest bestimmenden Einfluss hat (vgl. BT-Drs. 16/8148, S. 38). Allein das Kriterium der wirtschaftlichen Risikotragung lässt sich unproblematisch auf eine betreiberähnliche Nutzung der Kraftwerksscheibe übertragen. Die Kriterien der tatsächlichen Herrschaft und der eigenverantwortlichen Bestimmung der Arbeitsweise passen für Nutzungsrechte allenfalls sehr eingeschränkt (vgl. BT-Drs. 18/10668, S. 150). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Streithelferin nach den maßgeblichen vertraglichen Vereinbarungen mit der Beklagten Betreiberin der Stromerzeugungsanlage. Ihr stand ein langfristiges Nutzungsrecht für die Dauer von fünf Jahren (§ … des Pachtvertrages) zu, sie trug das wirtschaftliche Risiko des Anlagenbetriebs und die Erzeugungskosten (§ … des Pachtvertrages). Weiterhin wurde sie an den Chancen und Risiken beteiligt und musste anteilig für die Betriebsführung, die Wartung und Instandhaltung der Stromerzeugungsanlage aufkommen (§ … des Pachtvertrages).“

Nach § 61 e EEG 2017 verringert sich der Anspruch auf Zahlung der EEG-Umlage auf 0 % bei Bestandsanlagen, wenn der Letztverbraucher die Stromerzeugungsanlage als Eigenerzeuger betreibt – was vorliegend durch § 104 Abs. 4 Satz 2 EEG 2017 fingiert wird –, der Letztverbraucher den Strom, selbst verbraucht – was zwischen den Parteien nicht im Streit stand – und der Strom nicht durch ein Netz durchgeleitet wird, es sei denn, der Strom wird im räumlichen Zusammenhang mit der Stromerzeugungsanlage verbraucht.

Zum Vorliegen dieser Voraussetzung führt das LG Wuppertal aus: „Der Strom wurde im räumlichen Zusammenhang mit der Stromerzeugungsanlage verbraucht. Bei der vorliegenden Versorgung der Verbrauchsstellen innerhalb des Stadtgebiets mit einer maximalen Entfernung von 6,6 km vom Heizkraftwerk ist ein räumlicher Zusammenhang nach Auffassung der Kammer unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu bejahen. Zunächst ist festzustellen, dass nach dem Wortlaut des § 61 e EEG 2017 im Gegensatz zu der Definition der Eigenversorgung in § 3 Nr. 19 EEG 2017 kein unmittelbarer räumlicher Zusammenhang, sondern lediglich ein räumlicher Zusammenhang gefordert wird. Der Begriff des räumlichen Zusammenhangs ist damit weiter zu fassen als der des unmittelbaren räumlichen Zusammenhangs. Nach Auffassung der Kammer wird der in der Anlage erzeugte Strom jedenfalls dann in räumlichem Zusammenhang mit der Anlage verbraucht, wenn mit dem Strom, wie auch vorliegend, ausschließlich auf dem Stadtgebiet der Versorgungseinrichtung kommunale Verbrauchsstellen versorgt werden. Dies erscheint bei einer historischen Auslegung vor dem Hintergrund sachgerecht, dass häufig bei Stromerzeugungsanlagen, die vor Inkrafttreten der Gesetzgebung zur EEG-Umlage von ehemaligen Stadtwerken betrieben wurden, die Problematik der Eigenversorgung aus der Umwandlung in verschiedene privatrechtliche Gesellschaften resultiert. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass die Verbrauchsstellen innerhalb eines genau definierten Gebiets der liegen und der Strom an von vornherein festgelegte Verbrauchsstellen geleitet wurde. Diesem Verständnis steht auch der Umstand, dass der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 20.04.2004 bei einer Entfernung von 4,5 Kilometern zwischen der Stromerzeugungsanlage und der Verbrauchseinrichtung einen räumlichen Zusammenhang bejaht hat und der Verordnungsgeber daraufhin mit Geltung ab dem 18.05.2016 in das Stromsteuerrecht § 12 b Abs. 5 StromStV eine entsprechende Definition neu eingeführt hat, nicht entgegen. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung eine Entfernung von 4,5 Kilometern nicht als Maximalradius erklärt. Zudem lag der Entscheidung des Bundesfinanzhofs eine Stromerzeugung und - abnahme innerhalb einer kleinen Gemeinde zugrunde, während es sich bei der Stadt Wuppertal um eine deutlich größere, kreisfreie Stadt handelt. Die Regelung des § 12 b Abs. 5 StromSTV des Verordnungsgebers ist für die Anwendung des vorliegenden Bundesgesetzes nicht bindend.“

Nach Berichten in den Medien lassen die ÜNB in ca. 300 Fällen das Eigenstromprivileg in Scheibenpachtmodellen rechtlich überprüfen bzw. EEG-Umlagezahlungen einklagen. Dem Urteil des LG Wuppertal, gegen das der ÜNB Berufung eingelegt hat, hat damit durchaus Grundsatzcharakter. Allerdings macht die Entscheidung auch deutlich, dass es sehr stark auf die Gestaltung im Einzelfall ankommt und je nach konkreter Ausgestaltung der Scheibenpacht Rechtsfragen unterschiedlich ausgelegt werden können.    

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