Akteneinsicht im Konzessionsverfahren nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG

Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 4. November 2020 (27 U 3/20) zum Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG entschieden. Nach dem Urteil des Kammergerichts Berlin vom 24. September 2020 (Az. 2 U 93/19 EnWG) – vgl. unsere Besprechung im Newsletter Public Sector 3/2020, S. 21 ff. – ergeht eine weitere obergerichtliche Entscheidung zum 2017 novellierten Strom- und Gaskonzessionsvergaberecht.

Dem OLG Düsseldorf zufolge ist § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG nicht so zu verstehen, dass vom beteiligten Unternehmen zur Begründung des Akteneinsichtsrechts – über den Antrag auf Akteneinsicht hinaus – die Rüge einer Rechtsverletzung erhoben werden muss. Zwar begründet der in § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG in Bezug genommene § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG eine Rügeobliegenheit für Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung, die aus der Vorinformation nach § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG erkennbar sind. Könnte aber ausschließlich dasjenige, was in einer Vorinformation an Rechtsverstößen bereits erkennbar und damit rügefähig ist, ein Akteneinsichtsrecht begründen, könnte dadurch zum einen ein Anreiz für Gemeinden geschaffen werden, die Vorinformation so knapp wie möglich zu halten, was mit dem in § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG verankerten Transparenzgedanken unvereinbar wäre. Zum anderen spricht § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG davon, dass das Akteneinsichtsrecht zur Vorbereitung einer Rüge dient. Die Informationen für eine etwaige Rüge sollen danach mittels der Akteneinsichtsgewährung überhaupt erst gewonnen werden.

Das OLG betont, dass das Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG allerdings nicht schrankenlos gilt. Es wird bereits durch seinen Zweck begrenzt, Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung rügen zu können. Diesem Sinn und Zweck entsprechend besteht es nur in Bezug auf Aktenbestandteile des Vergabevorgangs, die für die Auswahlentscheidung relevant sind (Huber, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl., § 47 Rn. 20; Embacher/Wolf, RdE 2019, 374; für ein weitergehendes Akteneinsichtsrecht aber Wegner, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 47 EnWG Rn. 35). Mit Blick auf die Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit und des geringstmöglichen Eingriffs, wie sie auch in § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG zum Ausdruck kommen, lässt sich darüber hinaus erwägen, ein Akteneinsichtsrecht in die zum Akteninhalt gehörenden Angebotsunterlagen des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens erst in einem zweiten Schritt zu bejahen, wenn die Einsichtnahme in den Auswertungsvermerk der Gemeinde ergibt, dass diese dem Einsicht nehmenden Unternehmen zur Rechtswahrung – namentlich zur Entscheidung über die Formulierung und Anbringung von Rügen – nicht ausreicht (vgl. auch Huber, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl., § 47 Rn. 22; Meyer-Hetling/Schneider, NZBau 2020, 142, 144 f.). Das Akteneinsichtsrecht soll dem Zweck dienen, entscheidungserhebliche Rechtsverletzungen rügen zu können. Der Auswertung des Angebots des Zuschlagsprätendenten bedarf es dafür nicht immer.

Schließlich ist Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG zu versagen, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist.

Die Gemeinde muss in diesem Fall aber die gegen das Akteneinsichtsverlangen abzuwägenden Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die der Akteneinsicht entgegenstehen können, ermitteln. Dabei ist sie an die Mitteilung des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens, welche seiner Angebotsinhalte als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse anzusehen sind, nicht gebunden (vgl. auch OLG Dresden, Urteil vom 7. Oktober 2020 – U 1/20 Kart). Die Gemeinde hat die Angaben des Unternehmens zur Geheimhaltungsbedürftigkeit vielmehr zu prüfen und danach, soweit auch nach ihrer Rechtsauffassung Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse vorliegen, eine Abwägungsentscheidung selbst zu treffen.

Eine den Anforderungen des § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG genügende Abwägungsentscheidung ist im entschiedenen Fall von der Gemeinde bislang nicht getroffen worden. Mit dem Einwand unbilliger Behinderung war der Akteneinsicht begehrende Bieter im Konzessions­ver­fah­ren daher nicht ausgeschlossen. Die Geltendmachung des Rechts auf Akteneinsicht un­ter­liegt für sich nicht der Präklusion nach § 47 EnWG, sondern nur der – hier gewahrten – zeitlichen Schranke des § 47 Abs. 3 Satz 2 EnWG.

Hinweis

Das OLG Düsseldorf geht aus unserer Sicht etwas moderater vor als das Kammergericht Berlin in der o. g. Entscheidung. Nach dem OLG Düsseldorf kann es im Einzelfall ausreichen, dass die Einsichtnahme in den Auswertungsvermerk der Gemeinde zur Rechtswahrung ausreicht. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt ein Akteneinsichtsrecht in die zum Akteninhalt gehörenden Angebotsunterlagen des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens in Betracht. Diese abwägendere Vorgehensweise ist zu begrüßen.

Für Unterstützung und Fragen bei Konzessionsvergaben stehen wir gern zur Verfügung.