BGH zu Anforderungen an Kundenanlagen

Die Anforderungen an Kundenanlagen und der Umgang mit den unbestimmten Rechtsbegriffen in § 3 Nr. 24a EnWG wird durch die Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.11.2019, EnVR 65/18) näher präzisiert. Gleichzeitig werden neue Fragen aufgeworfen.

In seinem Beschluss orientiert sich der BGH wie in seiner bisherigen Rechtsprechung am Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen regulierten Netzen und nicht regulierten Kundenanlagen. Letztere sollen nur dazu dienen, den angeschlossenen Letztverbrauchern den Zugang zum eigentlichen Netz zu ermöglichen. Aus diesem Grund ist von einem weiten Netzbegriff auszugehen, sodass grundsätzlich alle Anlagen, die einer Versorgung von Letztverbrauchern dienen, dem Netzbegriff unterfallen. In diesem Kontext hat die Auslegung des § 3 Nr. 24a EnWG zu erfolgen.

Daneben präzisiert der BGH die Voraussetzungen in § 3 Nr. 24a lit. a und lit. c EnWG. Im Hinblick auf das räumlich zusammengehörende Gebiet (lit. a), auf dem sich die Kundenanlage befinden muss, ist bemerkenswert, dass für den BGH Straßen in der Gesamtschau für die Wahrnehmung bzw. das Erscheinungsbild als räumlich zusammengehörend nicht relevant sind. Entscheidend soll für dieses vom BGH als „Grobfilter“ verstandene Merkmal allein sein, ob das durch die Energieanlage versorgte Gebiet in dem Sinne räumlich zusammengehörend ist, dass sich innerhalb des Gebietes keine anderen Letztverbraucher befinden, zu deren Versorgung weitere Energieanlagen eingerichtet oder notwendig sind. Das Gebiet muss damit nach außen nur dahingehend abgrenzbar sein, dass keine weiteren, nicht von der Energieanlage versorgte vereinzelte, nicht ins Gewicht fallende Grundstücke sich in dem Gebiet befinden bzw. dieses teilen. Öffentliche Verkehrswege sollen dabei nicht geeignet sein, eine räumliche Zusammengehörigkeit aufzuheben. Damit werden vom BGH im Vergleich zu der bisherigen Rechtsprechung geringere Anforderungen an dieses Tatbestandsmerkmal gestellt.

Grundsätzlich soll eine Kundenanlage nur dem Zweck dienen, den angeschlossenen Letztverbrauchern den Zugang zum eigentlichen Netz zu ermöglichen. Dies kann nach Ansicht des BGH nicht mehr angenommen werden, wenn eine Energieanlage eine Größe erreicht hat, die mehr als eine bloße Netzzugangsgewährung umfasst. In diesem Fall wäre die Energieanlage nicht mehr wettbewerblich unbedeutend (lit c). Dieses Tatbestandsmerkmal prüft der BGH auf der Grundlage einer  Gesamtwürdigung anhand der vom Gesetzgeber aufgestellten Kriterien (Kundenanzahl, geografische Ausdehnung, Strommenge, sonstige Strukturmerkmale wie angeschlossene Gebäude) und konkretisiert diese wertemäßig.

Eine Einordnung einer Energieanlage als wettbewerblich unbedeutend scheidet nach Ansicht des BGH aus, wenn mehrere 100 Letztverbraucher angeschlossen sind, die Anlage sich über eine Fläche von deutlich mehr als 10.000 m² erstreckt, deutlich mehr als 1 GWh darüber transportiert wird und mehrere Gebäude angeschlossen sind. Wenn die Anlage jedoch in mehreren dieser Kriterien hinter den vom BGH aufgestellten Werten zurückbleibt, kann die Anlage gleichwohl wettbewerblich unbedeutend sein. Die Feststellungslast in diesem Zusammenhang weist der BGH dem Anlagenbetreiber zu.

Diese Präzisierung ist zunächst begrüßenswert, da es im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „wettbewerblich unbedeutend“ in der Vergangenheit große Diskussionen gab, wie dieses auszulegen ist. Auf der anderen Seite wirft der Beschluss in der Rechtsanwendung allerdings neue Fragen auf.

So stellt sich die Frage, wie die Anforderung an „mehrere 100 angeschlossene Letztverbraucher“ zu verstehen ist. Sind dies bereits 200 Letztverbraucher (im Sinne von nicht nur 100 Letztverbrauchern bzw. einer großen Zahl von Letztverbrauchern) oder muss es sich um eine unbestimmte größere Anzahl von Letztverbrauchern handeln, die bei 200 Letztverbrauchern ggf. noch nicht erreicht wäre. Wo die genaue Grenze zu ziehen ist, bleibt offen. Eine Auslegung, wonach bereits deutlich mehr als 100 angeschlossene Letztverbraucher wettbewerblich nicht mehr unbedeutend wären, würde zumindest der bisherigen Entscheidungspraxis des BGH entsprechen.

Daneben stellt sich die Frage, wie viele der vom Gesetzgeber aufgestellten Kriterien im Einzelfall erfüllt sein müssen. Was wäre z. B., wenn zwei Kriterien erfüllt wären und zwei nicht? Hieran schließt sich die weitere Frage an, ob die Kriterien gleichrangig nebeneinanderstehen oder bestimmten Kriterien im Rahmen der Prüfung eine höhere Bedeutung beizumessen ist. Hier wäre nach Ansicht des BGH wahrscheinlich wiederum eine tatrichterliche Gesamtwürdigung vorzunehmen. Schließlich wird in der Zukunft zu klären sein, ob bzw. inwieweit die Entscheidungsgrundsätze des BGH, die sich auf ein Wohngebiet bezogen, auch auf andere Konstellation (wie z. B. Einkaufszentren, Gewerbeparks und Universitäten) Anwendung finden. Insofern wird es spannend bleiben, wie die Rechtsprechung weitere Konstellationen beurteilen wird.

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