Bemessung von Schmutzwassergebühren bei falsch abgelesenem Wasserzähler

Stellt sich heraus, dass bei der Selbstablesung eines Wasserzählers über Jahre irrig die letzte Stelle des Zählerstandes weggelassen wurde, darf die Differenz zwischen dem tatsächlichen Zählerstand und dem zuletzt falsch abgelesenen Zählerstand nicht komplett dem aktuellen Veranlagungszeitraum zugeschlagen werden. Vielmehr hat eine möglichst wirklichkeitsnahe Schätzung zu erfolgen, bei der die Wassermengen auf die Vorjahre zu verteilen sind; das Verwaltungsgericht ist zu einer solchen Schätzung nicht befugt. (VG Hannover, Az.: 1 A 1252/20)

Ausgangslage

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, welches von seinem Vater und zwei weiteren Mietparteien bewohnt wird. Unter dem 15. Januar 2020 erhielt der Kläger vom zuständigen Wasserverband eine Jahresverbrauchsabrechnung, der als Anlage ein Bescheid über Schmutzwassergebühren im Namen und im Auftrag der Beklagten beigefügt war. Mit ihm wurde für das Jahr 2019 bei einem Verbrauch von 1.811 m3 eine Schmutzwassergebühr i. H. v. 3.839,32 € festgesetzt. Die in Ansatz gebrachte Wassermenge beruhte auf einer Ablesung des Wasserzählers durch den Versorger Ende 2019, welcher einen aktuellen Stand von 1.980 m3 aufwies. Im Vorjahr wurde ein Zählerstand von lediglich 169 m3 selbst abgelesen und mitgeteilt. Der Kläger erklärte dies damit, dass seit einem Zählerwechsel im Jahre 2010 die letzte Ziffer des Zählerstandes bei der Selbstablesung durch seinen Vater in der Annahme weggelassen wurde, dass es sich dabei um eine nicht mitzuteilende Nachkommastelle handele. Der Kläger erhob gegen den Schmutzwassergebührenbescheid am 17. Februar 2020 Klage.

Letzte Zählerstandsziffer weggelassen

Der Kläger hat vorgetragen, dass der Wasserverband Nordhannover eine Leitungsüberprüfung durchgeführt hat und keine Beschädigung an den Rohrleitungen festgestellt habe. Die hohe Differenz beruhe auf einer falschen Ablesung des Wasserzählers im Abrechnungszeitraum 2018.

Die Annahme, dass es sich bei der letzten Ziffer des Wasserzählers um eine nicht mitzuteilende Nachkommazahl gehandelt habe, beruhe auf seiner Vertrautheit mit älteren Wasseruhren, bei denen dies üblich gewesen sei.

Bescheid ist rechtswidrig

Das VG hält die Klage für begründet. Die Festsetzung der Schmutzwassergebühr auf der Grundlage eines Wasserverbrauchswertes von 1.811 m3 durch den Bescheid vom 15. Januar 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, sodass der Bescheid aufzuheben ist.

Rechtliche Grundlage für Festsetzung von Schmutzwassergebühren ist die Satzung der Beklagten über die Erhebung von Beiträgen, Gebühren und Kostenerstattungen für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung (Schmutzwasserabgabensatzung – SAS). Danach wird die Schmutzwassergebühr nach der Schmutzwassermenge bemessen, die in die öffentliche zentrale Schmutzwasseranlage gelangt; dazu gehört insbesondere die dem Grundstück aus öffentlichen oder privaten Wasserversorgungsanlagen zugeführte und durch Wassermesser ermittelte Wassermenge.

Das VG stellte fest, dass sich die für das Jahr 2019 angesetzte Wassermenge als ersichtlich überhöht darstelle. Die Begründung des Klägers, dass die für 2019 in Ansatz gebrachte Wassermenge auf der fehlerhaften Selbstablesung beruhe, hält das Gericht für plausibel. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Falschablesung vorgeschoben wurde, um einen jährlichen Wasserverbrauch in Höhe von 1.811 m3 zu verschleiern.

Schätzung ist die richtige Vorgehensweise

Zwar trifft der Einwand der Beklagten zu, dass – bei ja unstreitig einwandfrei funktionierendem Wasserzähler – die abgelesene Schmutzwassermenge unter Zugrundelegung dieses Geschehensablaufs zu einem Großteil letztlich bereits in den Vorjahren angefallen ist. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die gesamte Wassermenge von 1.811 m3 ausschließlich dem Erhebungszeitraum 2019 zuzuschlagen. Es sei nicht versucht worden, den tatsächlichen Verbrauch in diesem (und dem vorangegangenen) Veranlagungszeitraum abzubilden. Eine Schätzung des Wassermengenverbrauchs war ungeachtet des Umstandes, dass die Schmutzwasserabgabensatzung keine einschlägige Rechtsgrundlage für die vorliegende Situation fehlerhafter Selbstablesungen enthält, möglich und geboten.

Nach dem KAG des Landes hat die Körperschaft die Grundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Eine solche Fallkonstellation liegt vor. Zwar wurde der Zählerendstand des Zählers von 1.811 m3 zuverlässig ermittelt, doch fehlen die tatsächlichen Zählerstände der Vorjahre. Hier liegt es letztlich nicht anders als in einer Konstellation, in der die Verbräuche der Vorjahre jeweils geschätzt wurden und dann eine Ablesung erfolgt. Für die auf der Grundlage einer Schätzung ermittelten Wassermengen kann innerhalb der Festsetzungsfrist eine Nacherhebung erfolgen.

Es ist gerade nicht ausreichend, den abgelesenen Gesamtverbrauch schlicht komplett dem gerade abzurechnenden letzten Veranlagungszeitraum zuzuschlagen, wenn – wie vorliegend – klar ist, dass die Zählerdifferenz nicht ausschließlich in diesem Veranlagungszeitraum zustande kam.

Da eine gebotene Schätzung im vorliegenden Fall noch gar nicht erfolgt worden ist, musste der Bescheid vollumfänglich aufgehoben werden.

Autor*innen

Philipp Hermisson
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Sabina Gaaß
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.