Einführung einer dezentralen Besteuerung für die Gebietskörperschaften Bund und Länder durch das „Jahressteuergesetz 2020“

Die Reform der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand stellt juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) vor mannigfache Herausforderungen.

Spätestens mit Ablauf der Optionsfrist (§ 27 Abs. 22 i. V. m. Abs. 22a UStG), d. h. nunmehr ab dem 1.1.2023, wird eine spürbare Erweiterung der umsatzsteuerpflichtigen Sphäre bei jPdöR prognostiziert. Um die daraus resultierenden umsatzsteuerlichen Pflichten verfahrensrechtlich meistern zu können, sieht der Gesetzentwurf zum „Jahressteuergesetz 2020“ (Drucksache 19/22850) für die Gebietskörperschaften Bund und Länder in seiner derzeitigen Fassung – erstmals – die Möglichkeit eines dezentralen Besteuerungsverfahrens vor. In diesem Zusammenhang offenbaren sich jedoch bereits im Vorfeld der Neuregelungen diverse Anwendungsfragen und Unklarheiten.

1. Zentrales Besteuerungsverfahren und Vereinfachungsregelungen de lege lata

Die umsatzsteuerlichen Verfahrensvorschriften, insbesondere die Erklärungspflichten (§ 18 UStG), treffen nach aktueller Rechtslage den Unternehmer. Derzeit geht das Gesetz davon aus, dass die juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit allen ihren steuerbaren Umsätzen nur ein Unternehmen haben, mithin Besteuerungssubjekt in verfahrensrechtlicher Sicht die jPdöR als Gesamtheit ist. Daraus folgt, dass den Gebietskörperschaften Bund und Länder nicht nur eigene, sondern auch die durch ihre Organe (bspw. nachgeordnete Behörden) bewirkten steuerpflichtigen Umsätze zugerechnet werden und eine einheitliche Umsatzsteuererklärung abgegeben wird (sog. zentrale Erfassung). Demnach ist de lege lata vorgesehen, dass Bund und Länder im Besteuerungsverfahren (§ 18 UStG) jeweils Träger sämtlicher Rechte und Pflichten sind.

Durch Einführung des § 2b UStG hat sich die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand zwar materiellrechtlich verändert. Verfahrensrechtlich hat sich jedoch gegenüber der alten Rechtslage (zentrale Erfassung) keine Änderung ergeben.

Insoweit sind nach wie vor Bund und Länder Besteuerungssubjekt eigener sowie durch die eigenen Organe verwirklichter Umsätze.

Eine zentrale Besteuerungspraxis führte indessen schon vor Einführung des § 2b UStG oftmals zu einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand. Aus Praktikabilitäts- und Vereinfachungsgründen hat die Finanzverwaltung daher in bestimmten Fällen auch bislang eine dezentrale Besteuerungspraxis zugelassen. Danach kann es auch schon nach derzeitiger Rechtslage zulässig sein, einzelne Organisationseinheiten als Steuerpflichtige zu behandeln (siehe bspw. Abschn. 1a. 1 Abs. 3 UStAE) oder Betriebe gewerblicher Art an ihrem Sitz steuerlich zu erfassen (siehe bspw. FM-Bayern, Schreiben vom 25.11.1998, UR 1999 S. 465). Gleichwohl ist ausdrücklich zu betonen, dass für eine derartige Besteuerungspraxis bislang keine gesetzlichen Grundlagen vorhanden sind, sodass in diesen Fällen genau genommen eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht – nicht zuletzt für den Fiskus, der ggf. mit Verjährung von Steuer(nach)- forderungen rechnen muss, wenn er einen „falschen“ Bescheidadressaten gewählt hat.

2. Dezentrales Besteuerungsverfahren durch einen neu eingefügten § 18 Abs. 4f UStG

Durch Einführung der §§ 18 Abs. 4f, Abs. 4g UStG-E in das Umsatzsteuergesetz will die Bundesregierung der dezentralen Besteuerung von Bund und Ländern eine gesetzliche Grundlage geben. Hierdurch wird ein rechtlicher Rahmen geschaffen, künftig sämtliche umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten an sog. Organisationseinheiten zu delegieren. Nach dem neuen Recht sollen den Organisationseinheiten der Gebietskörperschaften Bund und Länder alle steuerrechtlichen Rechte und Pflichten obliegen, soweit diese durch das jeweilige Handeln eine Erklärungspflicht begründet haben (§ 18 Abs. 4f S. 1 UStG-E).

Filetstück der Neuregelungen ist der Begriff „Organisationseinheiten“. Eine Legaldefinition dessen, was eine Organisationseinheit sein soll, enthält der Gesetzeswortlaut nicht. Ein Blick auf die Begründung zum Gesetzentwurf schafft etwas mehr Klarheit. Darin werden Beispiele von Organisationseinheiten genannt. Organisationseinheiten im Sinne des § 18 Abs. 4f S. 1 UStG-E sind – so die Begründung (Drucksache 19/22850, S. 123) – „in den Gebietskörperschaften Bund und Länder jeweils einzeln die Verwaltungen der Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, die oberste Behörde und die Behörden der nachgeordneten Bereiche bzw. die Bundes und Landesbeauftragten, die mit eigener Selbstständigkeit außerhalb eines Ressorts ausgestattet sind, zum Beispiel der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, sowie vergleichbare Einrichtungen des Bundes oder der Länder.“

Neben den in der Begründung genannten Organisationseinheiten, können solche auch nachträglich gebildet werden. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, dass die in der Begründung bespielhaft genannten Organisationseinheiten, innerhalb ihres Geschäftsbereiches weitere „untergeordnete Organisationseinheiten“ bilden können, die dann wiederum für die Umsatzbesteuerung Träger sämtlicher Rechte und Pflichten sind (§ 18 Abs. 4f S. 4 UStG-E). Außerdem soll die Möglichkeit eröffnet werden, bestehende Organisationseinheiten zusammenzulegen (§ 18 Abs. 4f S. 5 UStG-E). Über den Zusammenschluss entscheidet die jeweils übergeordnete Organisationseinheit, d. h. in der Regel die übergeordnete Behörde. Die §§ 18 Abs. 4f S. 4, S. 5 UStG-E erlauben somit eine Konzentration der Erklärungspflichten „nach oben und nach unten“.

Ziel dieser Neuregelungen ist in erster Linie die Entlastung von Bund und Ländern. Außerdem soll gewährleistet werden, dass Verantwortlichkeiten rechtssicher zugeordnet werden können. Rechtsvereinfachung und Rechtssicherheit statt Unklarheit und Undurchführbarkeit lautet somit das Credo.

3. Anwendungsfragen und Unklarheiten

Der Gesetzentwurf zielt erkennbar darauf ab, Bund und Ländern jeweils größtmögliche Freiheiten in der Organisation der Erfüllung der Erklärungspflichten zuzugestehen. Dennoch dürfte klar sein, dass die Umstellung auf eine dezentrale Besteuerung eine Vielzahl von Fragen aufwirft. Derzeit offenbaren sich insbesondere drei Problemfelder, die wegen der Praxisrelevanz nicht unerwähnt bleiben dürfen:

  • Weil das Gesetz selbst keine Legaldefinition enthält, muss der Begriff der „Organisationseinheit“ ausgelegt werden. Zieht man die Gesetzesbegründung als Auslegungshilfe heran (vgl. Drucksache 19/22850, S. 123), dürfte gerade die Bestimmung „der Bundesund Landesbeauftragten, die mit eigener Selbstständigkeit außerhalb eines Ressorts ausgestattet sind“ im Einzelfall schwierig werden. Denn insoweit ist insbesondere fraglich, welcher Grad an Selbstständigkeit erforderlich ist, um die gesetzlichen Voraussetzungen zu erfüllen, und wie streng das Merkmal „außerhalb eines Ressorts“ zu handhaben ist.Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Ist der/ die Berliner Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung (§ 5 LGBG) unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung eine Organisationseinheit im Sinne von § 18 Abs. 4f S. 1 UStG-E?
  • Die Gesetzesänderung lässt – so der Gesetzentwurf – den Unternehmerbegriff des § 2 UStG unberührt. Das heißt, dass zwischen Organisationseinheiten der gleichen Trägerkörperschaft steuerbare Umsätze (weiterhin) nicht möglich sind (vgl. Drucksache 19/22850, S. 123). Fraglich ist aber, wie es sich mit einer etwaigen Vorsteuerabzugsberechtigung verhält und welche Organisationseinheit – vorausgesetzt, ein Vorsteueranspruch besteht – diesen geltend machen darf. Gerade diese Frage dürfte die Beratungspraxis künftig intensiv beschäftigen.
  • § 18 Abs. 4f S. 6 UStG-E in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung sieht vor, dass die in § 1a Abs. 3 Nr. 2, § 2b Abs. 2 Nr. 1, § 3a Abs. 5 S. 3 UStG, § 18 Abs. 2 S. 2, § 18a Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 genannten Betragsgrenzen für Organisationseinheiten stets als überschritten gelten. Wahlrechte, deren Rechtsfolgen das gesamte Unternehmen der Gebietskörperschaft erfassen, können nur einheitlich ausgeübt werden. Laut Bundesrat (vgl. Drucksache 503/20, S. 56) ist demgegenüber kein Grund ersichtlich, warum der Bund und die Länder von den Vereinfachungen in den genannten Vorschriften auch dann ausgeschlossen bleiben sollen, wenn sie das Unterschreiten der jeweiligen Betragsgrenze für ihr gesamtes Unternehmen zweifelsfrei belegen können.Die Bundesregierung hat einen diesbezüglichen Änderungsvorschlag des Bundesrates nicht übernommen (vgl. Drucksache 19/23551, S. 93). Die Frage, ob § 18 Abs. 4f S. 6 UStG-E eine gleichheitswidrige Überschreitung der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers darstellt, könnte künftig die Gerichte beschäftigen, wenn sich der Gesetzentwurf in seiner derzeitigen Fassung durchsetzt.
  • Zwar kann gem. § 18 Abs. 4f S. 8 UStG-E in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung die Gebietskörperschaft gegenüber dem für sie zuständigen Finanzamt erklären, dass die „Atomisierung“ in Organisationseinheiten nicht zur Anwendung kommen soll. Diese Erklärung – und deren Widerruf – ist allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Hier wäre eine rückwirkende Anwendungsmöglichkeit wünschenswert (an der der Gesetzgeber aber vermutlich aus Praktikabilitätsgründen im Steuervollzug kein Interesse haben dürfte).

4. Unsere Empfehlung für Sie

Zunächst bleibt abzuwarten, ob bzw. inwieweit sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren Änderungen am Gesetzentwurf ergeben. Darüber hinaus könnte der Erlass eines BMFSchreibens Rechtsklarheit schaffen. So oder so dürfte jedoch nach alledem feststehen, dass infolge der Auslegungsschwierigkeiten und Anwendungsfragen die rechtmäßige Umsetzung der geplanten Neuregelungen eine angemessene Beratung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erfordert. Hiernach gilt es insbesondere, nicht nur die Vorgaben des § 2b UStG innerhalb eines Tax-CMS sachlich zu integrieren, sondern in Anbetracht der geplanten dezentralen Umsatzbesteuerung von Bund und Ländern auch Compliance- und Erklärungspflichten rechtssicher zuzuordnen.

   

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public-Sector-Newsletter 3-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.