Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch bei Vorliegen eines (fakultativen) Ausschlussgrundes zu wahren

Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 (Az.: 15 Verg 4/20) entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und abzuwägen hat, ob der Ausschluss eines Bieters sachlich gerechtfertigt und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren ist.

Dies gilt auch, wenn der öffentliche Auftraggeber die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausschlussvorschrift als erfüllt ansieht.

Der öffentliche Auftraggeber hatte in einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb eine strategische Kooperationspartnerschaft zur Bewerbung um das Stromnetz auf ihrem Stadtgebiet ausgeschrieben. Zwei Bieterinnen gaben finale Angebote im Verfahren ab, wobei im Anschluss der unterlegenen Bieterin mitgeteilt wurde, dass die obsiegende Bieterin insbesondere ein besseres Konzept zur Steuerung der Ergebnisentwicklung eingereicht habe und deshalb ihr Angebot nicht den Zuschlag erhalte.

Diese Vorabinformation und die Konzeptbewertung rügte die unterlegene Bieterin als fehlerhaft. Unter anderem trug diese vor, dass das Angebot der obsiegenden Bieterin hätte ausgeschlossen werden müssen, weil gegen diese bzw. ihre Muttergesellschaft die Landesenergiekartellbehörde ein Verfahren wegen wettbewerbsbeschränkender Verträge mit Gemeinden zur Erlangung von Stromund Gaskonzessionen geführt hatte. Das Verfahren wurde lediglich gegen die Verpflichtung eingestellt, die Verträge zu beenden und einen Betrag in Höhe des Vorteils an die Staatskasse zu zahlen. Somit lägen hinreichende Anhaltspunkte für die Beteiligung der Muttergesellschaft an einer den Wettbewerb beschränkenden Absprache vor.

Diese Rügen hatten im Ergebnis keinen Erfolg.

Es liegt kein Verstoß gegen die Bestimmungen des Vergaberechts darin, dass die Antragsgegnerin es durch Gemeinderatsbeschluss abgelehnt hat, die obsiegende Bieterin gem. §§ 124 Abs. 1 Nrn. 3, 4 oder 9 lit. c GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen. Das OLG stellt fest:

„Die genannten Vorschriften verlangen, dass der öffentliche Auftraggeber, wenn er die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausschlussvorschrift als erfüllt ansieht, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles prüft und abwägt, ob der Ausschluss eine sachlich gerechtfertigte und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbarende Reaktion auf den Anlass wäre. Diese Ermessensentscheidung des Auftraggebers ist grundsätzlich lediglich darauf überprüfbar, ob nicht alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen ermittelt wurden, der Zweck der Ermächtigung verkannt, oder ob bewusst aus willkürlichen, unsachlichen Motiven gehandelt wurde (Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK- Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB Rn. 15).“

Das OLG fährt später fort:

„Unerheblich ist auch, dass seit der Einstellungsverfügung keine drei Jahre vergangen sind. Gemäß § 126 Nr. 2GWB beträgt die Höchstdauer für die Möglichkeit eines Ausschlusses nach § 124 GWB drei Jahre ,ab dem betreffenden Ereignis‘, falls das Unternehmen keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen hat. Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, dass der öffentliche Auftraggeber vor Ablauf der drei Jahre im Rahmen der Ermessensausübung dazu kommt, dass eventuelle Verstöße des Unternehmens der Bejahung einer Eignung nicht im Wege stehen.“

Das OLG hält zu diesem Komplex abschließend fest:

„Insbesondere war nicht Zweck der Ermessensausübung im Hinblick auf einen eventuellen Ausschluss, ein etwaiges Fehlverhalten der Beigeladenen (= obsiegende Bieterin) in der Vergangenheit zu sanktionieren, sondern zu prognostizieren, ob die Beigeladene trotz eines – unterstellten – Verstoßes eine geeignete und zuverlässige Partnerin des Kooperationsvertrags sein kann.“

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