Aktuelle regulatorische Erkenntnisse nach dem Geltungsbeginn der MDR

Aktuelle regulatorische Erkenntnisse nach dem Geltungsbeginn der Medical Device Regulation 2017/745 (MDR) seit dem 26. Mai 2021

Flickenteppich mitten in Europa

Während die MDR seit dem 26. Mai 2021 in den meisten Staaten der Europäischen Union verpflichtend anzuwenden ist, stehen Hersteller, Händler und Importeure von Medizinprodukten vor besonderen Herausforderungen, sofern sie ihre Produkte auch in England, Schottland und Wales (nachfolgend: UK) oder in der Schweiz auf den Markt bringen möchten.

Brexit führt zur Nichtanwendbarkeit der MDR in England, Schottland und Wales

Anders als man vielleicht zunächst annehmen würde, entfaltet die neue MDR in England, Schottland und Wales (nachfolgend: UK) keine Wirkung! Grund hierfür ist, dass die MDR zum Ende der Übergangsphase zum britischen EU-Austritt zum 31. Dezember 2020 noch nicht in Kraft getreten war und daher nicht vom Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/C 384 I/01) erfasst ist. Das bedeutet, dass in der UK weiterhin die Vorschriften der in Deutschland nicht mehr anwendbaren Richtlinien über allgemeine Medizinprodukte (Richtlinie 93/42/ EWG; MDD), über aktive implantierbare medizinische Medizinprodukte (Richtlinie 90/385/EWG; AIMDD) und über In-vitro-Diagnostika (Richtlinie 98/79/ EG; IVDD) gelten, die allesamt nach eigener UK-Gesetzgebung unter den Medical Devices Regulations 2002 (UK MDR 2002) zusammengefasst werden.

Im Zuge des Brexits wurden die UK MDR 2002 jedoch durch das Amendment of the Medical Devices (Amendment etc.) (EU Exit) Regulations 2019 geändert. Nach Ablauf der Übergangsfrist am 30. Juni 2023 sind die CE-Zertifikate nicht mehr gültig.

CE-Kennzeichnung nur noch übergangsweise gültig

Das bedeutet für Hersteller von Medizinprodukten, die den Vertrieb ihrer Produkte in England, Schottland und Wales beabsichtigen, zunächst Folgendes:

  • Bereits vertriebene Medizinprodukte, die den Anforderungen der AIMDD, der MDD oder der IVDD entsprechen und dies mittels einer CE-Kennzeichnung nachweisen, können noch bis zum 30. Juni 2023 (23.59 Uhr) in UK vertrieben werden. Gleiches gilt für solche Produkte, die über CE-Kennzeichnung nach den Vorschriften der MDR verfügen.
  • Ab dem 1. Juli 2023 müssen die Produkte mit einer sogenannten UK Conformity Assessed Mark (UKCA-Kennzeichnung) versehen werden. Hersteller können ihre Produkte dennoch bereits jetzt auf freiwilliger Basis mit der UKCA-Kennzeichnung versehen und vertreiben. Hierfür ist erforderlich, dass die Produkte den Anforderungen der entsprechenden Anhänge der AIMDD, MDD bzw. IVDD sowie den Anpassungen durch die UK MDR 2002 (Teil II des Anhangs 2A im Falle der MDD) entsprechen.Spätestens ab dem 1. Juli 2023 muss Ihr Produkt mit der UKCA-Kennzeichnung versehen sein, die CE-Kennzeichnung ist dann nicht mehr gültig. Das entsprechende Verfahren zum Erhalt der UKCA-Kennzeichnung ist rechtzeitig zu initiieren, damit ein lückenloser Übergang ohne Vertriebspausen in UK gewährleistet werden kann.Für Northern Ireland gelten aufgrund eines gesonderten Austrittsabkommens Sonderregelungen im Hinblick auf die MDR: Hier ist die MDR seit dem 26. Mai 2021 anwendbar und die dargestellten Besonderheiten sind nicht von Relevanz.

Erfordernis einer „UK Responsible Person“

Seit dem 1. Mai 2021 müssen Hersteller mit Sitz außerhalb der UK aktive implantierbare Medizinprodukte, Medizinprodukte der Klasse III sowie implantierbare Medizinprodukte der Klasse IIb, bei der Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) registrieren. Hersteller außerhalb des UK müssen für eine erfolgreiche Registrierung eine UK Responsible Person mit Sitz im UK vorhalten. Auch auf dem Medizinprodukt muss neben der UKCA-Kennzeichnung bzw. der CE-Kennzeichnung der Name und die Adresse der UK Responsible Person genannt werden. Gleiches gilt ab dem 1. September 2021 für nicht implantierbare Medizinprodukte der Klasse IIb und Medizinprodukte der Klasse IIa sowie ab dem 1. Januar 2022 für Medizinprodukte der Klasse I.

Die UK Responsible Person handelt im Namen des Herstellers und führt bestimmte Aufgaben im Zusammenhang mit den Verpflichtungen des Herstellers aus. Dazu zählen u. a. die Sicherstellung, dass die Konformitätserklärung und die technischen Unterlagen erstellt wurden und dass der Hersteller gegebenenfalls ein geeignetes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt hat und den Hersteller unverzüglich über Beschwerden und Berichte von Angehörigen der Gesundheitsberufe, Patienten und Anwendern über mutmaßliche Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem Produkt informiert.

Die Suche nach einer UK Responsible Person gestaltet sich mitunter schwierig. In Betracht kommt hier, einen Importeur oder Händler als UK Responsible Person zu benennen.

Auch wenn Ihr Produkt bereits über eine CE-Kennzeichnung verfügt, müssen Sie als Hersteller eines Medizinprodukts mit Sitz außerhalb des UK früher oder später eine UK Responsible Person beauftragen und Ihr Medizinprodukt bei der MHRA registrieren lassen.

Schweiz im Hinblick auf die MDR seit dem 26. Mai 2021 nur noch Drittstaat

Seit dem 1. Juni 2002 hatte das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement; MRA) Medizinprodukten deutscher Hersteller einen nahezu ungehinderten Marktzugang in der Schweiz ermöglicht. Aufgrund des fehlenden Institutionellen Abkommens (InstA) hat die Europäische Union das bisher gültige MRA nicht an die neue MDR angepasst und aktualisiert. Damit verliert der Schweizer Medizinproduktemarkt seit Geltungsbeginn der MDR seinen barrierefreien Zugang zum deutschen Markt – und andersherum.

Die Schweizer Medizinprodukteverordnung (MepV) wurde jedoch gleichzeitig mit Geltungsbeginn der MDR erneuert und ähnelt den Anforderungen der MDR. Erfreulicherweise ist festzustellen, dass dort hinsichtlich der meisten Regularien keine im Vergleich zur MDR erhöhten Anforderungen gestellt werden. Zudem erkennt die Schweiz die europäische CE-Kennzeichnung (Art. 13 Abs. 1 S. 2 MepV) sowie von Benannten Stellen ausgestellte Zertifikate an (Art. 25 Abs. 4 MepV). Deutsche Medizinproduktehersteller müssen dennoch folgende Besonderheiten beim Export in die Schweiz beachten:

  • Deutsche Hersteller sind verpflichtet, einen Schweizer Bevollmächtigten zu benennen (Art. 51 MepV). Der Bevollmächtigte ist zuständig für die formellen und sicherheitsrelevanten Belange im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen des Produkts, die den Pflichten des Art. 11 MDR entsprechen. Jedoch gibt es hier eine Erleichterung: Der deutsche Hersteller und der Schweizer Bevollmächtigte können vertraglich vereinbaren, dass nicht der Bevollmächtigte eine Kopie der technischen Dokumentation bereithält, sondern der Hersteller auf Verlangen die Dokumentation direkt der Swissmedic bereitstellt. Dies ist vor allem von Interesse, wenn der deutsche Hersteller nicht gewillt ist, dem Bevollmächtigten Einblick in seine technische Dokumentation und damit in sensible Herstellungsinformationen zu geben.
  • Hinsichtlich der Bestellung eines Schweizer Bevollmächtigten sind EU-Herstellern für nach dem 26. Mai 2021 in Verkehr gebrachte Produkte Übergangsfristen gewährt (Art. 104a MepV): So muss der Bevollmächtigte bei Produkten der Klasse III, implantierbaren Produkten der Klasse IIb und aktiven implantierbaren Medizinprodukten erst ab dem 31. Dezember 2021 und bei Produkten der Klasse I sogar erst ab dem 1. Juli 2022 benannt werden.
  • Deutsche Hersteller und Schweizer Bevollmächtigte müssen sich innerhalb von drei Monaten nach dem erstmaligen Inverkehrbringen ihres Produkts bei der Swissmedic registrieren (Art. 55 MepV).
  • Die Schweizerische Medizinproduktebehörde (Swissmedic) hat keinen Zugriff auf die EUDAMED und damit keinen Einblick in die für die Marktüberwachung erfolgreichen Daten. Daher müssen schwerwiegende Vorkommnisse und in der Schweiz ergriffene Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld separat an die Swissmedic gemeldet werden (Art. 66 MepV). Hierbei ist zu beachten, dass diese Meldungen zwingend durch den Bevollmächtigten zu erfolgen haben (Art. 66 Abs. 2bis MepV).

Durchführung von „sonstigen klinischen Prüfungen“

Medizinproduktehersteller führen regelmäßig auch nach dem Inverkehrbringen ihrer Produkte klinische Prüfungen durch, wie z. B. Post-Marketing-Clinical- Follow-up-Studien (PMCF), die seitens der MDR auch gefordert werden, sowie Anwendungsbeobachtungen oder vergleichende Evaluationsstudien zum Nachweis positiver Versorgungseffekte im Rahmen eines Antragsverfahrens auf Registrierung einer Digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA). Seit dem 26. Mai 2021 richtet sich die Regulatorik für die Durchführung dieser sogenannten sonstigen klinischen Prüfungen nach der MDR i. V. m. dem Medizinproduktedurchführungsgesetz (MPDG). Wie bereits unter Geltung der alten Rechtslage nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) ist für die Durchführung einer sonstigen klinischen Prüfung u. a. die Einholung einer Genehmigung der Ethikkommission nicht erforderlich, sofern das CE-zertifizierte Produkt innerhalb seiner Zweckbestimmung angewendet wird und die Prüfungsteilnehmer keinen zusätzlichen invasiven oder belastenden Verfahren ausgesetzt sind. Eine Besonderheit ist aber zu beachten, wenn Produkte angewendet werden, die noch nach den Regelungen der Medical Device Directive (MDD) zertifiziert sind. Für diese Produkte gelten die gelockerten Regelungen nicht, sodass insbesondere eine zustimmende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission und eine Anzeige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erforderlich sind. Besonders wichtig ist diese Regulatorik für Hersteller von Software-Produkten der Risikoklasse I, die nach der MDD ohne Benannte Stelle zertifiziert werden konnten und die aufgrund der Übergangsregelung nach Art. 120 Abs. 3 MDR weiterhin in Verkehr gebracht werden dürfen, sofern sie nach der MDR in Risikoklasse IIa oder höher fallen und dadurch für die Zertifizierung eine Benannte Stelle erforderlich ist. Sofern Hersteller solcher Produkte nunmehr eine sonstige klinische Prüfung durchführen wollen, muss entweder ein positives Ethikvotum eingeholt werden und eine Anzeige beim BfArM erfolgen oder das Produkt müsste zunächst nach der MDR zertifiziert werden.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 3-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.