Ermäßigter Umsatzsteuersatz für Zweckbetriebe von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen

11.03.2021 – BFH, Urteil v. 10.12.2020 – V R 5/20

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jüngst entschieden, dass zur Vermögensverwaltung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. m. § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO nur solche Beteiligungsveräußerungen gehören, die mangels einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht steuerbar sind. Die Veräußerung der Beteiligung an einer Gesellschaft, an die der Gesellschafter zuvor entgeltliche Leistungen im Rahmen seines Unternehmens erbracht hat, erfolgt daher nicht i. R. d. Vermögensverwaltung.

Hintergrund

§ 68 Nr. 9 AO stellt eine § 65 AO vorgehende und diesen verdrängende Spezialvorschrift dar, die verhindert, dass Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen im Bereich der Auftragsforschung ausnahmslos einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten. Die Vorschrift wurde als Reaktion darauf eingefügt, dass der BFH die bisherige Praxis der Finanzverwaltung, Auftragsforschung von gemeinnützigen Forschungseinrichtungen i. d. R. als Zweckbetrieb anzusehen, verworfen und Auftragsforschung generell als steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb behandelt hatte.

§ 68 Nr. 9 AO gilt nur für gemeinnützige Körperschaften, deren satzungsmäßiger (jedenfalls überwiegender) Zweck die Förderung von Wissenschaft und Forschung ist und die sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Zuwendungen Dritter oder aus Mitteln der eigenen Vermögensverwaltung finanzieren. Darunter können alle Forschungseinrichtungen fallen, die Körperschaften i. S. d. § 1 KStG sind. Ebenso zählen Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wie z. B. die Forschungseinrichtungen von staatlichen Hochschulen, dazu. Grundsätzlich werden unselbstständige Forschungseinrichtungen ihrem Träger zugerechnet, also der Körperschaft, die die Einrichtung betreibt. Wird die Forschung von einem Betrieb gewerblicher Art betrieben, so kommt es auf dessen Finanzierung an, nicht auf die der Trägerkörperschaft.

Unschädlich für die überwiegende Finanzierung aus „zulässigen Quellen“ sind nur Einnahmen, die keine Gegenleistung für Forschungstätigkeiten darstellen.

Unter Zuwendungen sind Leistungen von Mitteln ohne Gegenleistung zu verstehen (insb. Spenden, Projektförderungszahlungen, Fördergelder, Mitgliedsbeiträge).

Zur Vermögensverwaltung rechnet im Bereich des § 68 Nr. 9 AO nur eine Tätigkeit, die nicht entgeltlich bzw. unternehmerisch durchgeführt wird; dazu zählen z. B. Erträge aus Beteiligungen, nicht aber z. B. Mieteinnahmen.

Diese einschränkende Auslegung wird auch bei der Anwendung des UStG vorgenommen. Dies ist v. a. dann von Bedeutung, wenn nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG eine Steuersatzermäßigung in Betracht gezogen wird, die für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, gilt. Die Zweckbetriebseigenschaft richtet sich auch hier nach den §§ 65–68 AO, wobei § 68 AO gegenüber § 65 AO als vorrangige Vorschrift zu verstehen ist und entsprechend bei Forschungseinrichtungen ausschließlich dessen Voraussetzungen zu prüfen sind.

Sachverhalt

In dem vom BFH zu entscheidenden Fall ging es im Kern um eine gemeinnützige GmbH (G-GmbH), die im Bereich der Auftragsforschung tätig war. Sie war außerdem Alleingesellschafterin der H-GmbH. Die G-GmbH vereinnahmte von der H-GmbH Beteiligungserträge und Mieteinnahmen.

Das Finanzamt (FA) ging davon aus, dass die Leistungen der G-GmbH im Bereich der Auftragsforschung nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, sondern dem Regelsteuersatz unterlägen, weil die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen nach § 68 Nr. 9 AO mangels übermäßiger Finanzierung aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung nicht erfüllt seien.

Mit Zwischenurteil entschied das Finanzgericht (FG) über die Frage, ob die Einnahmen (Beteiligungserträge und Mieteinnahmen), die die G-GmbH von der H-GmbH erhalten habe, als unschädliche Vermögensverwaltung i. S. d. § 68 Nr. 9 AO zu qualifizieren oder aber aufgrund einer Betriebsaufspaltung infolge der Vermietung des Betriebsgrundstücks samt aufstehenden Gebäuden gewerblicher Art gewesen seien und damit – weil sie einen Großteil der Finanzierung ausmachten – der Zweckbetriebseigenschaft entgegenstünden. Es bejahte Letzteres. Der BFH ging allerdings davon aus, dass jedenfalls die Beteiligungserträge nicht vom Begriff der Vermögensverwaltung in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. m. § 68 Nr. 9 AO auszunehmen seien.

Da die G-GmbH ihre Beteiligung an der H-GmbH veräußerte hatte, stellte sich aber außerdem die Frage, ob der vereinnahmte Veräußerungserlös aus dem Verkauf der Beteiligung zur Versagung der Zweckbetriebseigenschaft i. S. d. § 68 Nr. 9 AO geführt habe.

Das FA ordnete den Erlös aus der Beteiligungsveräußerung dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu, da die Beteiligung zum unternehmerischen Bereich gezählt habe.

Das FG verneinte die überwiegende Finanzierung aus Zuwendungen und Vermögensverwaltung ebenfalls und war der Ansicht, dass sich der Verkauf der Anteile an der H-GmbH i. R. e. Leistungsaustauschverhältnisses vollzöge. Anders als beim bloßen Halten von Beteiligungen habe die G-GmbH durch den Verkauf ihrer Gesellschaftsanteile eine entgeltliche Leistung gegenüber einem Dritten erbracht. Sie habe damit den Bereich der Vermögensverwaltung verlassen.

Dagegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidung

Der BFH hat die Entscheidung des FG dahingehend bestätigt, dass die Beteiligungsveräußerung als nicht zur Vermögensverwaltung zugehörig anzusehen ist.

Der ermäßigte Steuersatz für die Leistungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs einer steuerbegünstigten Körperschaft gilt gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG i. V. m. § 64 Abs. 1 AO nur, wenn es sich um einen Zweckbetrieb handelt.

Zweckbetriebe liegen bei Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen gemäß der Spezialvorschrift § 68 Nr. 9 AO nur vor, wenn sich deren Träger überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanzieren.

Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Bei dem Mittelzufluss aus der Beteiligungsveräußerung habe es sich weder um eine Zuwendung noch um Vermögensverwaltung gehandelt.

Insbesondere gehören zur Vermögensverwaltung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i. V. m. § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO nur Beteiligungsveräußerungen, die mangels einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht steuerbar sind. Die Veräußerung der Beteiligung an einer Gesellschaft, an die der Gesellschafter zuvor entgeltliche Leistungen im Rahmen seines Unternehmens erbracht hat, erfolge daher nicht im Rahmen der Vermögensverwaltung.

Im Ergebnis sei die entgeltliche Veräußerung der Beteiligung an der H-GmbH durch die G-GmbH i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG sowie nach den Vorgaben auf europäischer Ebene steuerbar. Denn die G-GmbH beschränkte sich vor der Veräußerung nicht auf das bloße Halten der Beteiligung. Aufgrund der zusätzlichen Grundstücksvermietung sei vielmehr von einem „Eingreifen in die Verwaltung“ der H-GmbH auszugehen. Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung liege außerdem selbst bei Übertragung aller Gesellschaftsanteile nicht vor, wenn es an einer gleichzeitigen Übertragung weiterer Vermögenswerte fehle.

Hinweis

Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen müssen nach dieser Rechtsprechung beachten, dass Veräußerungserlöse aus Beteiligungen, die sich vor der Veräußerung nicht auf das bloße Halten beschränken, nicht der Vermögensverwaltung zuzuordnen sind und daher u. U. eine Versagung der Zweckbetriebseigenschaft nach § 68 Nr. 9 AO drohen kann, wenn durch hohe Veräußerungserlöse keine überwiegende Finanzierung durch Zuwendungen und Vermögensverwaltung mehr sichergestellt ist. Dies kann zu gravierenden umsatzsteuerlichen sowie ertragsteuerlichen Auswirkungen führen. Sie betreffen eine potenzielle Ertragsteuerpflicht sowie die Höhe des Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG für erbrachte Leistungen. Aufgrund der Rückwirkung kann dies insgesamt schnell zu hohen Nachzahlungen gegenüber dem Finanzamt führen. Eine frühzeitige Gestaltung und Prüfung ähnlicher Sachverhalte sind hier ratsam.