Werthaltigkeitsnachweis für latente Steuern unter Solvency II

07.09.2021 – Versicherungsunternehmen müssen sich sowohl in der Solvabilitätsübersicht als auch im Rahmen der Ermittlung der Solvenzkapitalanforderung mit dem Ansatz und der Werthaltigkeit von latenten Steuern auseinandersetzen. Am 18. Juni 2019 veröffentlicht die Europäische Kommission die Delegierte Verordnung (EU) 2019/981 vom 8. März 2019 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 im Amtsblatt der Europäischen Union L 161. Mit der Anpassung der DVO zum 1. Januar 2020 wurden dabei die Anforderungen an den Nachweis der Werthaltigkeit gem. Artikel 207 DVO konkretisiert. Warum ist dies von Bedeutung?

Latente Steuern entstehen aus temporären Ansatz- und Bewertungsunterschieden zwischen der Solvabilitätsübersicht und der Steuerbilanz (z. B. bei Drohverlustrückstellungen), da diese Unterschiede in der Zukunft zu Steuerbe- oder -entlastungen führen. Diese latenten Steuern sind als Vermögenswert (künftige Steuerentlastung als aktive latente Steuer) bzw. als Schuld (künftige Steuerverbindlichkeit als passive latente Steuer) in der Solvabilitätsübersicht anzusetzen und erhöhen bzw. vermindern entsprechend die Eigenmittel. Darüber hinaus wird bei der Berechnung der Solvenzkapitalanforderung die Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern in Abzug gebracht, da der finanzielle Verlust aus dem 200-Jahres-Schockszenario die künftige Steuerlast mindern kann. Latente Steuern können somit einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Solvabilitätsquote haben, unterliegen aber inhärenten Bewertungsunsicherheiten, so dass die Aufsicht Nachweise zur Werthaltigkeit aktiver latenter Steuern fordert. Insbesondere die Frage der Werthaltigkeit in der Nach-Stress-Situation kann Versicherungsunternehmen vor besondere Herausforderungen stellen.

Ansatz und Bewertung latenter Steuern in der Solvabilitätsübersicht

Ansatz und Bewertung von latenten Steuern in Bezug auf sämtliche Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, die im Rahmen der Solvabilitätsübersicht erfasst werden, müssen in Übereinstimmung mit den geltenden IFRS-Vorschriften (IAS 12) erfolgen. Eine Verrechnung von aktiven und passiven latenten Steuern ist dabei nur zulässig, wenn sie aus derselben Steuerart resultieren, von derselben Steuerbehörde erhoben werden und das Unternehmen ein einklagbares Recht zur Aufrechnung hat. Für die Berücksichtigung aktiver latenter Steuern sind zwei Szenarien zu betrachten:

In dem ersten Szenario übersteigen die passiven latenten Steuern die aktiven latenten Steuern. In diesem Fall findet eine Verrechnung der aktiven latenten Steuern mit den passiven latenten Steuern statt, sofern die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei wird grundsätzlich angenommen, dass die aktiven latenten Steuern werthaltig sind. Es verbleibt folglich ein Passivüberhang an latenten Steuern in der Solvabilitätsübersicht.

In dem zweiten Szenario übersteigen die aktiven latenten Steuern die passiven latenten Steuern. Der Ansatz des Überhangs unter den Vermögenswerten ist in diesem Fall nicht ohne weiteres möglich, da für den aktiven Überhang ein Werthaltigkeitsnachweis erforderlich ist.

Die verlustausgleichende Wirkung latenter Steuern im SCR

Bei der Berechnung der Solvenzkapitalanforderung besteht die Möglichkeit, einen verlustausgleichenden Effekt durch latente Steuern („Adjustments for loss absorbency of deferred taxes“ – Adj(DT)) anzusetzen, was den Solvenzkapitalbedarf mindern kann. Hierbei ist eine Vor-Steuer-Sicht einzunehmen. Dazu müssen zunächst Latenzen beseitigt werden, so dass der tatsächliche Steueraufwand als Größe in der Rechnung verbleibt.

Insbesondere bei der Berechnung des Adj(DT) ist die Werthaltigkeit der aktiven latenten Steuern von entscheidender Bedeutung, da nachgewiesen werden muss, dass auch im Falle des 200-Jahres-Schockszenarios zukünftige steuerpflichtige Gewinne gegeben sind, mit denen die Verluste verrechnet werden können. Andernfalls darf das Adjustment nicht angesetzt werden.

Dabei sind aufbauend auf den latenten Steuern aus der Solvabilitätsübersicht folgende Szenarien denkbar:

Zum einen kann aus der Solvabilitätsübersicht nach Verrechnung der aktiven und passiven latenten Steuern ein passiver Überhang vorliegen. Bleibt dieser Überhang nach Verrechnung mit dem Adj(DT) weiterhin bestehen, so ist kein Nachweis über die Werthaltigkeit der aktiven latenten Steuern im Rahmen der Ermittlung der Solvenzkapitalanforderung bzw. der Nach-Stress-Situation erforderlich. Schließlich können die aktiven latenten Steuern aus dem Schockszenario durch den Nettowert der passiven latenten Steuern aus der Solvenzbilanz gedeckt werden. Wandelt sich hingegen der passive Überhang aus der Solvabilitätsübersicht nach Verrechnung mit dem Adj(DT) zu einem aktiven Überhang um, liegt diese Deckung nicht mehr vor und es muss ein Werthaltigkeitsnachweis über die Höhe des angesetzten aktiven latenten Steuerüberhangs erbracht werden.

Zum anderen kann aus der Solvabilitätsübersicht nach der Saldierung der latenten Steuern ein aktiver Überhang entstehen, wofür bereits dort ein Werthaltigkeitsnachweis durchgeführt werden musste. Für das Adj(DT) ist dann in voller Höhe die Werthaltigkeit der latenten Steueransprüche im Schockszenario nachzuweisen.

In der Praxis erfolgt regelmäßig eine Begrenzung des Adj(DT) auf die Höhe des passiven Überhangs latenter Steuern in der Solvabilitätsübersicht, so dass ein Werthaltigkeitsnachweis nicht erforderlich ist. Aus Sicht der BaFin (BaFin-Journal August 2021, S. 40 ff.) wird hiermit ein sinnvoller und zugleich vorsichtiger Ansatz gewählt. Eine darüberhinausgehende Berücksichtigung der Verlustausgleichsfähigkeit ist jedoch grundsätzlich möglich, erfordert nur einen entsprechenden detaillierten und fundierten Nachweis.

Anforderungen an den Werthaltigkeitsnachweis gem. Artikel 207 DVO

Bevor der Werthaltigkeitsnachweis überhaupt geführt werden kann, muss zunächst die Unternehmensfortführung nach dem Stressszenario sichergestellt sein. Schließlich könnten sonst die zukünftigen steuerpflichtigen Gewinne nicht realisiert werden, die zur Aufrechnung der latenten Steuern herangezogen werden. Ein besonderer Fokus liegt an dieser Stelle u. a. bei denjenigen Versicherungsunternehmen, die bereits vor dem Stresstest eine geringe Bedeckung der Solvabilitäts- oder Mindestkapitalanforderung aufweisen. Ziel ist es, ausreichend begründet und nachvollziehbar die Erfüllung der Kapitalanforderungen nach dem Stressszenario darzustellen.

Artikel 207 DVO spezifiziert die Anforderungen an den Werthaltigkeitsnachweis aktiver latenter Steuern und an das Vorhandensein zukünftiger steuerlicher Gewinne im Stressszenario. Demnach müssen folgende Anforderungen erfüllt sein:

Grundlage des Nachweises ist eine Unternehmensplanung. Dabei sind die zugrundeliegenden Annahmen bei der Betrachtung des Stressszenarios von entscheidender Bedeutung. So müssen die getroffenen Annahmen konsistent mit denjenigen Annahmen sein, die dem Werthaltigkeitsnachweis der latenten Steueransprüche in der Solvabilitätsübersicht zugrunde liegen. Abweichungen, die den Versicherer günstiger dastehen lassen, sind nicht zulässig.

Außerdem dürfen nur die künftigen steuerpflichtigen Gewinne berücksichtigt werden, die nicht bereits in der Solvabilitätsübersicht Eingang gefunden haben, zum Beispiel im Rahmen der zukünftigen Erträge innerhalb der Prämienrückstellung.

Bei der Prognose des künftigen Neugeschäfts ist neben der allgemeinen Marktentwicklung insbesondere dem spezifischen Risikoprofil eines Versicherungsunternehmens Rechnung zu tragen. Dabei bildet die Unternehmensplanung unter der Berücksichtigung des Schockszenarios die Grundlage für den Ansatz von Neugeschäft. Neugeschäft, das nach dem unternehmenseigenen Planungshorizont oder einem 5-Jahres-Horizont liegt, darf allerdings keine Berücksichtigung finden. Für die zugehörigen Gewinnprojektionen aus dem geplanten Neugeschäft, die über den Planungshorizont hinausgehen, müssen zwei Aspekte beachtet werden. So müssen zum einen ein endlicher Projektionshorizont verwendet werden und zum anderen angemessene Abschläge auf die jenseits des Planungshorizonts projizierten Gewinne angesetzt werden. Hinsichtlich der Angemessenheit der Abschläge muss die durch einen längeren Prognosehorizont induzierte Unsicherheit von zukünftigen Erträgen Beachtung finden. Entsprechend ist in der Nach-Stress-Betrachtung mit höheren Abschlagsfaktoren zu rechnen als in der Solvabilitätsübersicht. Dadurch soll basierend auf geeigneten Annahmen sowie aussagekräftigen Analysen der Eintrittswahrscheinlichkeiten eine risikogerechte Bewertung dieser Unsicherheiten erreicht werden.

Die Berichterstattung über die Durchführung der Werthaltigkeitstests wird im ORSA-Bericht (Own Risk and Solvency Assessment) sowie im regelmäßigen aufsichtlichen Bericht (Regular Supervisory Report – RSR) erfolgen. Während im RSR das grundsätzliche Vorgehen bei der Durchführung von Werthaltigkeitsnachweisen dargelegt wird, erwartet die BaFin im ORSA-Bericht eine Konkretisierung mit der nötigen Detailtiefe der wesentlichen Annahmen sowie der Unternehmenssituation im Schockszenario. Dabei legt sie den Fokus auf eine im Vergleich zur Vergangenheit deutlich ausführlichere und aussagekräftigere Berichterstattung.

Im Ergebnis kann das Thema Latente Steuern und deren Werthaltigkeit in Solvency II mit dem Rückgang stiller Reserven und etwaigem zusätzlichem Druck auf das Erreichen einer guten Solvabilitätsquote zunehmend an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig handelt es sich um ein hochkomplexes Thema, das auch gegenüber der BaFin gut vorbereitet und dokumentiert sein will. Wir unterstützen Sie mit unserem Expertenteam aus Aktuaren (DAV) und Wirtschaftsprüfern bei der Erstellung des Werthaltigkeitsnachweises und Ihrer Solvency-II-Berichterstattung.

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