Der schmale Grat der Vollständigeit

03.07.2019 – Der Auftraggeber muss in der Auftragsbekanntmachung oder dem Aufruf zur Interessenbekundung eine Internetadresse angeben, auf der „die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können“ (§ 41 VgV). Aber heißt das auch, dass der Auftraggeber die Vergabeunterlagen als Ganzes, ohne Lücken oder Aussparungen, d. h. nach allgemeinem Sprachverständnis eben „vollständig“, zur Verfügung stellen muss?

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 17.10.2018 (VII-Verg 26/18) festgestellt, dass – zumindest in Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb – nicht ausnahmslos alle Vergabeunterlagen mit der Bekanntmachung bereitgestellt werden müssen. Hintergrund dessen war, dass der Auftraggeber in der Bekanntmachung eines nicht offenen Verfahrens mit Teilnahmewettbewerb lediglich einen Auszug aus den Vergabeunterlagen per Verlinkung zur Verfügung stellte, aus denen Bewerber aus Sicht des Auftraggebers alle Informationen erhielten, die sie für ihre Teilnahmeentscheidung benötigten. Ein Bewerber rügte den Verstoß gegen § 41 VgV.

Das OLG Düsseldorf schlussfolgerte unter Verweis auf den Wortlaut des § 41 VgV, dass sich „vollständig“ nicht auf die Vergabeunterlagen, sondern auf deren Abruf beziehe. Die Unterlagen müssten daher nicht als Ganzes veröffentlicht werden. Es genüge ein Auszug, solange dieser insgesamt elektronisch abgerufen werden könne und alle Informationen enthalte, um Bewerbern eine unternehmerisch sinnvolle Teilnahmeentscheidung zu ermöglichen. Zudem gebe ein Bewerber zunächst nur einen Teilnahmeantrag und kein Angebot ab. Im Übrigen verwies das OLG Düsseldorf auf die alte Rechtslage, nach der die Teilnehmer die Vergabeunterlagen erst nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs erhielten. Schließlich zählten die in § 29 VgV aufgezählten Unterlagen lediglich „in der Regel“ zu den Vergabeunterlagen.

Nach § 29 VgV muss der Auftraggeber ausreichend Informationen liefern, um Bewerbern die Teilnahmeentscheidung zu ermöglichen. Er muss keineswegs alle Informationen offenlegen. Der schmale Grat zwischen zu wenigen und ausreichenden Informationen wird daher wohl auf absehbare Zeit Gegenstand der Einzelfallentscheidung bleiben.

Autorin

Theresa Klemm
Tel: +49 30 208-88 1447

Melden Sie sich hier für unseren neuen Public Sector-Newsletter an!