Der Abzug finaler Verluste

29.06.2018 – Rechtsprechungsänderung des EuGH ermöglicht wieder den Abzug im Ausland „final“ gewordener Verluste.

Ausländische (Betriebsstätten-)Verluste sind – ungeachtet einer DBA-Freistellung – im Inland abziehbar, wenn sie im Ausland final werden. Dies ist insb. der Fall, wenn eine endgültige Schließung der ausländischen Betriebsstätte oder ihre Veräußerung erfolgt. Das Urteil in der Rs. Bevola (C-650/16) reaktiviert die für überholt gehaltene Feststellung von tatsächlicher Finalität ausländischer Verluste.

Hintergrund

Mit der Entscheidung in der Rs. Marks & Spencer (EuGH, 13.12.2005, C-446/03) schuf der EuGH die Figur der finalen Verluste. Der Kern des Problems liegt in der Berücksichtigung von Verlusten einer Auslandstätigkeit, deren Gewinne der Heimatstaat nicht besteuern kann.

Während in der Rs. Marks & Spencer das Gruppenbesteuerungsregime in Frage stand, erweiterte der EuGH in der Rs. Lidl Belgien seine Grundsätze auf eine sog. Freistellungsbetriebsstätte. Mit anderen Worten: Erleidet der Steuerpflichtige im Ausland einen Verlust, ist dieser auch dann im Inland abzugsfähig, wenn DBA-rechtlich die Freistellungsmethode gilt.

Somit durchbrach der EuGH die vom Reichsfinanzhof entwickelte und vom Bundesfinanzhof bestätigte Symmetrietheorie, wonach bei abkommensrechtlicher Freistellung von Einkünften sowohl die Gewinne als auch die Verluste freigestellt werden. Erfolgte keine Berücksichtigung, stellte dies eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Dies wäre nur unionsrechtskonform, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre, d. h., die nationale Maßnahme muss geeignet sein, ein unionsrechtlich anerkanntes Ziel zu erreichen und darf gleichzeitig nicht über das zum Erreichen dieses Ziels Erforderliche hinausgehen.

Im Rahmen dieser Rechtfertigungsprüfung entstand die Figur der finalen Verluste. Denn während ein Mitgliedstaat grundsätzlich freigestellte ausländische Verluste unberücksichtigt lassen darf, ist dies dann unverhältnismäßig, wenn der Steuerpflichtige alle Möglichkeiten, diese Verluste im Ausland abzuziehen, ausgeschöpft hat, die Verluste folglich „final“ sind.

Zwischenzeitliche Aufgabe der Rechtsprechung durch EuGH und BFH

Auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung entwickelte der Bundesfinanzhof die Unterscheidung zwischen tatsächlicher und rechtlicher Finalität. Erstere liege vor, wenn die ausländische Betriebsstätte aufgegeben oder veräußert werde. Letztere dagegen, wenn das Steuerrecht des Betriebsstättenstaats den Verlustabzug ausschließe, sei es, weil es gar keine Verlustverrechnung kenne, oder sei es, weil ein Verlustvortrag zeitlich beschränkt sei.

Diese Sichtweise schien mit dem EuGH-Urteil vom 12.12.2015, C-388/14, Rs. Timac Agro überholt. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, die Situation einer im Ausland belegenen Betriebsstätte sei objektiv nicht mit der Situation einer im Inland belegenen Betriebsstätte vergleichbar. Bereits auf Eingriffsebene verneinte der EuGH die Beschränkung, und die Frage der Rechtfertigung stellte sich somit nicht. Der BFH folgte dieser Sichtweise und ließ somit den Abzug finaler ausländischer Betriebsstättenverluste nicht mehr zu (BFH, 22.2.2017, I R 2/15).

Erneute Wende der EuGH-Rechtsprechung und Wiederaufleben „finaler Verluste“

In seiner jüngsten Entscheidung vom 12.6.2018 (C-650/16, Rs. A/S Bevola) kehrte der EuGH zu seiner früheren Rechtsprechungslinie zurück. Er bejaht – ohne Prüfung der steuerlichen Unterschiede einer Freistellungs- und Anrechnungsbetriebsstätte – den Eingriff und erkennt zwar als Rechtfertigungsgrund u. a. die Vermeidung der doppelten Verlustnutzung an. Gleichwohl sei die Versagung des Abzugs nicht verhältnismäßig, da der Steuerpflichtige aufgrund der fehlenden Nutzung des Verlustes im Ausland keine doppelte Verlustnutzung begehre.

Im Ergebnis stärkt der Gerichtshof im Sinne des Binnenmarktes den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Aus Sicht der Steuerpflichtigen ist die Entscheidung zu begrüßen, weil somit die Einmalberücksichtigung von Verlusten sichergestellt und dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprochen wird. Auf den Widerspruch zur Rechtssache Timac Agro geht der Gerichtshof nicht ein, was zwar im ersten Moment erstaunt, aber letztlich darauf abzielen dürfte, mögliche Unstimmigkeiten in der Rechtsprechung nicht weiter zu thematisieren. Im Ergebnis darf nicht nur von der Fortführung der ursprünglichen Lidl-Belgien-Rechtsprechung des EuGH, sondern auch von der darauf basierenden BFH-Rechtsprechung ausgegangen werden. Schließlich dürfte auch der Druck auf den deutschen Gesetzgeber steigen, diese Grundsätze durch eine entsprechende Anpassung des Gesetzes zu berücksichtigen.

Praxishinweis

Für deutsche Auslandsinvestitionen ist die EuGH-Entscheidung vorteilhaft. Sollte nämlich eine gewerbliche Investition im EU- bzw. EWR-Ausland über eine ausländische Personengesellschaft oder Betriebsstätte scheitern und betriebswirtschaftlich die Schließung die einzig sinnvolle Lösung sein, bedeutet das Urteil im Ergebnis die Abzugsfähigkeit des Verlusts, selbst wenn DBA-rechtlich die Freistellungsmethode vereinbart ist. Dies gilt, sofern es sich um eine tatsächliche Finalität handelt.

Eine Abziehbarkeit ist somit gegeben, wenn die Betriebsstätte umgewandelt, geschlossen (BFH, 9.6.2010, I R 107/09) oder entgeltlich oder unentgeltlich übertragen wird (BFH, 5.2.2014, I R 48/11). Andererseits – und dies stellte der EuGH klar – liege keine Endgültigkeit der Verluste vor, solange der Steuerpflichtige im Ausland noch – wenn auch minimale – Einkünfte erziele.

Nach Auffassung des BFH steht die bloße Möglichkeit, sich im Ausland zu einem späteren Zeitpunkt wieder wirtschaftlich zu engagieren, der Finalität nicht entgegen. In einem solchen Fall könne eine Korrektur des Verlustabzugs im Inland mittels § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfolgen (BFH, 5.2.2014, I R 48/11).

Aus steuerplanerischer Sicht ist zu prüfen, eine Tätigkeit im Ausland ganz einzustellen bzw. eine Veräußerung einer Verlustbetriebsstätte vorzunehmen, wobei der BFH auch die Veräußerung an eine verbundene Gesellschaft anerkannte (BFH, 5.2.2014, I R 48/11). Ein solches Vorgehen erlaubte es, einem – europarechtlich unerheblichen – rechtlichen Untergang von Verlusten zuvorzukommen. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Übertragbarkeit der vorstehenden Grundsätze auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (so im Grundsatz BFH, 22.9.2015, I B 83/14). In diesem Zusammenhang zu beachten ist der auf Immobilieneinkünfte regelmäßig anwendbare Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit. Diese Grundfreiheit ist in ihrem räumlichen Schutzbereich nicht auf EU/EWR beschränkt, sondern gilt weltweit. Prof. Dr. Adrian Cloer Rechtsanwalt, Steuerberater Partner Tel: +

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