Zeitnahe Mittelverwendungspflicht als Globalbetrachtung

28.08.2017 – Am 9.8.2017 veröffentlichte der BFH – begleitet durch eine Pressemitteilung – auf seiner Internetseite die Revisionsentscheidung im Falle eines gemeinnützigen Vereins, dem Finanzamt und Finanzgericht u. a. aufgrund eines überzogenen (Miss-)Verständnisses des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung die Gemeinnützigkeit entziehen wollten. In seinem Urteil erteilte der BFH der von der Vorinstanz vertretenen geldschein- bzw. wirtschaftsgutbezogenen Sichtweise der zeitnahen Mittelverwendung eine eindeutige Absage.

Sachverhalt

Der Verein gehörte zum Kreis der Organisatoren der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, welche die Rekommunalisierung des Stromnetzes anstrebte. In Vorbereitung eines Volksbegehrens wurde ein Spendenkonto eingerichtet und im Streitjahr 2011 Spenden eingesammelt sowie Zuwendungsbestätigungen nach amtlichem Muster ausgestellt. Die tatsächlich in Zusammenhang mit dem Volksbegehren entstandenen – erheblich höheren – Kosten zahlte der Verein von einem seiner anderen Bankkonten, so dass die eingeworbenen Gelder auch 2014 noch als Guthaben auf dem Spenden(bank-)konto ausgewiesen wurden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung lag damit ein Verstoß gegen das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung vor, da die vereinnahmten Beträge nicht innerhalb eines Jahres verausgabt wurden.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des BFH macht bereits der Zweck des Grundsatzes der zeitnahen Mittelverwendung keine Betrachtung erforderlich, die auf den einzelnen Geldschein bzw. die einzelne Gutschrift auf einem Konto abstellt. Der Gesetzgeber verpflichte gemeinnützige Körperschaften zur zeitnahen Mittelverwendung, um zu verhindern, dass steuerbegünstigt erworbene Mittel grundlos angesammelt oder zum Aufbau sonstigen Vermögens eingesetzt werden. Zur Verhinderung einer übermäßigen Mittelansammlung genüge es aber, auf den Saldo der Mittelabgänge und -Zuflüsse abzustellen. Die individualisierte Betrachtung jeder einzelnen Geldbewegung würde den mit dem Gebot der zeitnahen Mitteverwendung verfolgten Zweck nicht in größerem Maße verwirklichen als eine Saldorechnung.

Auch hat der BFH schon in seiner früheren Rechtsprechung ausgesprochen, dass Mittel i. S. d. § 55 AO nicht nur die der Körperschaft durch Spenden, Beiträge oder Erträge ihres Vermögens und ihrer wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe zur Verfügung stehenden Geldbeträge sind, sondern sämtliche Vermögenswerte der Körperschaft. Wenn aber nicht nur laufende Einnahmen, sondern auch Vermögenswerte in die Prüfung einzubeziehen sind, dann erfordert dieses eine Saldo- bzw. Globalbetrachtung der Mittelverwendung. Auch dass hinsichtlich der steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe und der Vermögensverwaltung auf das jeweilige Ergebnis abgestellt werde (welches naturgemäß schon eine saldierte Größe ist), stützt diese Sichtweise.

Auch die Literatur teile nahezu einhellig die Auffassung, dass der Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung nicht gegenständlich, sondern auf das Gesamtvermögen bezogen ist und es daher nicht auf die Verwendung eines „bestimmten Geldscheins“, sondern auf die Gegenüberstellung der zeitnah zu verwendenden Mittel und der zweckverwirklichenden Aufwendungen im entsprechenden Wirtschaftsjahr ankommt. Sofern der Mittelvortrag geringer ist als die Mittel, die im Folgejahr tatsächlich für gemeinnützige Zwecke verausgabt wurden, ist nachgewiesen, dass der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung genügt wurde.

Praxishinweis

Das Urteil stellt eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich des Gebotes der zeitnahen Mittelverwendung und deren ausschließlich globalem Nachweis dar.

Spannend wird gerade in gemeinnützigen Konzernen sein, wie konsequent der entschiedene Grundsatz zu Ende gedacht wird: Werden beispielsweise im Krankenhaus-Zweckbetrieb angeschaffte Wirtschaftsgüter später im Bereich des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes (z. B. Vermietung an gewerbliche Dienstleistungs-Tochtergesellschaft) oder aber der Vermögensverwaltung (z. B. Vermietung an gemeinnützige Tochtergesellschaft) genutzt, wird nicht mehr darauf abzustellen sein, ob dem einzelnen überlassenen Wirtschaftsgut eine entsprechende hohe freie Rücklage i. S. d. § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO gegenübersteht. Vielmehr kann es ausschließlich darauf ankommen, dass die globale Mittelverwendungsrechnung keinen Verwendungsrückstand ausweist.

Für alle operativ tätigen Körperschaften bedeutsam ist, dass der BFH die Literaturauffassung zitiert, nach der dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung bereits dann genüge getan ist, wenn der Mittelvortrag geringer ist als die im Folgejahr tatsächlich für gemeinnützige Zwecke verausgabten Mittel. Dieses stellt quasi eine Anwendung des First-in-/First-out-Grundsatzes dar und dürfte dazu führen, dass Körperschaften mit hohem Personalkostenanteil in der Regel dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung entsprechen dürften.

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Autor

Jens Krieger
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