Bewertungen in Krisenzeiten – Interview mit Laurent Inard

22.06.2020 – Zur Veröffentlichung des Reports „Bewertungen in Krisenzeiten“ (englischer Originaltitel: „Valuations in Times of Crisis: How to Increase Visbility on Multiples, Forecasts and Scenarios“) sprachen wir mit dem Autor Laurent Inard, Global Chief R&D Officer Valuation & Models.

Im Report wird erläutert, wie sich Unternehmen durch Modellbildung einen Überblick über die Märkte verschaffen können und warum Faktoren wie Ausmaß und Dauer der Krise in der Modellgleichung eine wichtige Rolle spielen.

Welchen Nutzen können Unternehmen aus dem Report ziehen?

Im Zuge der aktuellen Krise wird es für Unternehmen zunehmend schwieriger, zuverlässige Zukunftsprognosen zu erstellen. Zudem arbeiten viele Unternehmen noch mit Prozessen, die nicht vollständig an die aktuellen Gegebenheiten angepasst sind. Bei der Bewertung ihrer Vermögenswerte müssen sie stets mit höchster Genauigkeit vorgehen, auch wenn die Prognosen ungewiss sind. Hier kommt unser Report zur Durchführung von Bewertungen in Krisenzeiten ins Spiel. Er dient Unternehmen als praktische Richtschnur, um auf komplexe Ereignisse zu reagieren und anhand von Tests zu prüfen, inwiefern ihre Bewertungen dadurch beeinflusst wurden.

Warum ist es so wichtig, dass die Bewertungen stets korrekt sind?

Wenn ein Unternehmen bei einer Bewertung feststellt, dass einzelne Vermögenswerte soweit an Wert eingebüßt haben, dass die Buchwerte nicht mehr erzielt werden können, muss eine Wertminderung erfolgen. Wenn es sich dabei um einen Firmenwert handelt, ist die Abschreibung nach internationalen Standards unwiderruflich – d. h. eine vorherige Bewertung kann nicht rückgängig gemacht werden, selbst wenn der Vermögenswert zu einem späteren Zeitpunkt wieder steigt. Einfach gesagt lässt sich also festhalten, dass ein mangelnder Überblick zu falschen Bewertungen führen kann, die ggf. inkorrekte Bewertungen und Wertminderungen nach sich ziehen.

Wenn Sie bei der erneuten Bewertung der Vermögenswerte zu konservativ vorgehen, müssen Sie unter Umständen eine Wertminderung verbuchen. Eine solche Wertminderung wird von Stakeholdern eher negativ aufgenommen und kann zudem später nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wenn die Bewertung hingegen zu optimistisch ausfällt, können Sie eine Wertminderung in der unmittelbaren Zukunft zwar abmildern oder vollständig umgehen, allerdings kommen Sie in ein bis zwei Jahren unter Umständen in Erklärungsnöte gegenüber Ihren Stakeholdern, wenn die Gewinne nicht mit den Prognosen übereinstimmen. Die Folgen sind Vertrauensverlust, Rufschädigung sowie geschäftliche Nachteile.

Welchen Ansatz verfolgen die meisten Unternehmen bei Bewertungen?

Zu den wichtigsten Ansätzen zählen das Multiplikator- sowie das Discounted-Cashflow-Verfahren (DCF). Beim ersten Verfahren erfolgt die Bewertung durch Multiplikation mit einer beliebigen betriebswirtschaftlichen Größe, z. B. den Gewinnen vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände (EBITDA). Die Multiplikatoren sind dabei jeweils branchenspezifisch. Umgebungen mit hohem Risikopotenzial erfordern in der Regel niedrige Multiplikatoren (sowie hoch gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten und DCF), um das Risiko-Ertrags-Verhältnis für Investoren auszugleichen.

Ein großes Problem bei diesem Verfahren ist die Abhängigkeit von den Aktienmärkten, die gerade in Krisenzeiten von einer hohen Volatilität geprägt sind. Auch bei der Berechnung gibt es einige Tücken – beispielsweise, wenn die Krise fälschlicherweise doppelt einberechnet oder ein EBITDA für die Zeit nach der Krise auf einen Multiplikator angewendet wird, bei dem die Auswirkungen der Krise bereits zu Buche geschlagen sind.

Beim DCF-Verfahren dreht sich alles um Prognosen. Dabei wird der Gegenwartswert anhand verschiedener Prognosen bestimmt, indem diese mit den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten diskontiert werden. Das Hauptproblem bei diesem Verfahren besteht darin, dass sich die Bewertung der Cashflows eines Unternehmens in Krisenzeiten schwierig gestaltet. Hier stellt sich vor allem die Frage, inwiefern eine korrekte Prognose des Umsatzes für den Rest des Jahres 2020 überhaupt möglich ist – geschweige denn eine Prognose des Umsatzes für 2024.

Inwiefern greift dieser Report auf diese beiden Verfahren zurück?

Im Report stellen wir ein Modell vor, dass auf möglichst umfassenden Marktdaten basiert und Unternehmen ermöglicht, die Dauer und das Ausmaß der Krise abzuschätzen. Denn diese Faktoren haben erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung von Vermögenswerten.

Die Finanzmärkte kommen in dieser Krise nicht zum Erliegen und auch professionelle Marktanalysten veröffentlichen weiterhin Reports. Ihre Vorhersagen können öffentlich eingesehen werden und liefern einen Konsens zur Entwicklung in den nächsten zwei bis drei Jahren. Diese Analysen geben Aufschluss über das Ausmaß der Krise. Wenn Sie den Konsens mit den Werten vor der Krise vergleichen, können Sie daraus die Auswirkungen für jedes Unternehmen ableiten. Der Vergleich einer Peer-Gruppe von Unternehmen erlaubt zudem Rückschlüsse auf die gesamte Branche.

Wenn wir das Ausmaß kennen, können wir auf dieser Basis die Dauer der Krise ableiten. Auf Grundlage dieser beiden Parameter zeigen wir auf, wie Unternehmen ihren Geschäftsplan aus der Zeit vor der Krise (mit relativ guter Prognosegenauigkeit) anpassen müssen, um die Weichen auf Wachstum zu stellen.

Die aus dem Modell abgeleiteten Erkenntnisse werden selbstverständlich auch mit dem tatsächlichen Rückgang der Marktkapitalisierung abgeglichen, um eine Verbindung zwischen den Erwartungen der Finanzanalysten und den impliziten Trends auf den Finanzmärkten im Hinblick auf die beiden Parameter Ausmaß und Dauer zu schaffen.

Inwiefern hilft diese Vorgehensweise bei der Neuausrichtung der Geschäftspläne?

Wenn Ausmaß und Dauer der Krise für das spezifische Unternehmen bekannt sind, kann das Team seine Umsatzprognosen aus der Zeit vor der Krise im ersten Jahr reduzieren und einigermaßen zuverlässig abschätzen, wie lange diese Reduzierung beibehalten werden sollte.

Die einzelnen Parameter können beliebig an die individuelle Situation angepasst werden. Mithilfe des Modells lassen sich auch die Auswirkungen auf die Bewertung berechnen.

Diese individuellen Anpassungen sind in der Regel wichtig. Bei einem Unternehmen mit weltweiten Kunden im Premiumbereich mag das Ausmaß aufgrund von Reisebeschränkungen zwar größer sein, allerdings fällt die Dauer kürzer aus, da die Kunden nach Aufhebung der Einschränkungen auf verfügbares Einkommen zurückgreifen können.

Durch die beiden Parameter Ausmaß und Dauer können wir die Prognosegenauigkeit in diesen sehr unsicheren Zeiten erhöhen. Ausgehend von externen Faktoren gestaltet sich die Bewertung und individuelle Anpassung dieser Parameter natürlich sehr viel einfacher als wenn man bei Null anfängt.

Eignet sich die im Report dargestellte Modellierung nur für börsennotierte Unternehmen?

Nein. Bei der Anwendung von Multiplikatoren in ihren Abschlüssen können private Unternehmen durchaus auf Branchenmultiplikatoren zurückgreifen. Sie verlassen sich dabei auf die Informationen, die von börsennotierten Unternehmen öffentlich bereitgestellt werden. Gleichzeitig können private Unternehmen bei der Ausarbeitung ihrer Prognosen auch davon profitieren, wenn sie Ausmaß und Dauer für ihre Branche kennen. Diese Parameter können aus dem Modell für eine Gruppe vergleichbarer, börsennotierter Unternehmen abgeleitet werden.

Diese Finanzmarktanalyse gibt die persönliche Meinung des Autoren Laurent Inard wieder.

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