Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen: BMF ordnet antragsgebundene AdV ab 2015 an

20.06.2018 – Auf Antrag gewähren ab sofort alle Finanzämter die Aussetzung der Vollziehung (AdV) von Nachzahlungszinsen ab dem Veranlagungsjahr 2015. Mit Schreiben vom 14.06.2017 hat das Bundesministerium für Finanzen (BMF) verfügt, entsprechend zu verfahren.

Zusätzlich wurde allgemein das Ruhen des erforderlichen Einspruchsverfahrens angeordnet. Die Anweisung gilt für alle Steuerarten und alle Zinsarten und bindet auch Behörden, die außerhalb der Finanzverwaltung mit der Steuererhebung befasst sind, beispielsweise die Kommunen in Hinblick auf die Gewerbesteuer.

Für Zeiträume bis 2014 soll dagegen Aussetzung nur beim Vorliegen besonderer persönlicher Gründe (Unbilligkeit) gewährt werden.

Die Finanzverwaltung setzt damit den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24.04.2018 (Az: IX B 21/18, Details siehe hier, für alle Steuerpflichtigen um. In dem Beschluss, der damals von einer Pressemitteilung begleitet wurde und breites öffentliches Aufsehen erregte, formulierte der BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Nachzahlungszinsen ab 2015. Vor dem Bundesverfassungsgericht sind zwei Verfahren (Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) anhängig, in denen die Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe teilweise ab dem Zeitraum 2009 Thema ist.

Der BFH begründete seinen Beschluss vom 24.04.2018 damit, dass die realitätsferne Bemessung des Zinssatzes den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz von derzeit 6% p.a. überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Es bestünden schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

Praxishinweis

Verfahrensrechtlich setzt die Aussetzung der Vollziehung einen Einspruch gegen den Zinsbescheid voraus. Leider ist der Zinsbescheid nicht immer leicht zu erkennen. Häufig werden die Zinsen als sonstiger Verwaltungsakt zusammen mit dem Steuerbescheid erlassen. In seltenen Fällen werden diese gesondert festgestellt. Sprechen sie im Zweifel Ihren steuerlichen Berater an!

Beispiel

Im Nachgang einer Betriebsprüfung für 2012 werden geänderte Steuerbescheide erlassen, die zu einer Steuernachzahlung führen. Zusätzlich werden in den Steuerbescheiden Nachzahlungszinsen festgesetzt. Der sogenannte Zinslauf beginnt laut Gesetz 15 Monate nach der Entstehung der Steuer. Für 2012 ist dieses der Ablauf des 31.03.2014.

Die Festsetzung der Nachzahlungszinsen stellt einen eigenständigen Verwaltungsakt innerhalb des Steuerbescheides dar. Gegen diesen ist Einspruch einzulegen.

Da die Verfahren vor dem BFH Veranlagungszeiträume bis 2009 auf den Prüfstand stellen, sollte der Einspruch gegen alle festgesetzten Zinsen erhoben werden. Zusätzlich ist AdV für die Nachzahlungszinsen zu beantragen.

Unter Anwendung des BMF-Schreibens ist zu erwarten, dass das Finanzamt die Zinsfestsetzung in Folge des AdV-Antrags wie folgt aufteilen wird:

  • Die Zinsen i.H.v. 6% p.a auf die Steuernachzahlungen werden für den Zeitraum 01.04.2014 bis 31.12.2014 gesondert berechnet. Da dieser Zeitraum vor 2015 liegt wird die Zinszahlung unmittelbar fällig.
  • Für die Zinsen i.H.v 6% p.a., die für den Zeitraum 2015 bis zum Ergehen des Zinsbescheides entfallen, wird das Finanzamt Aussetzung der Vollziehung gewähren.

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